Zur Zukunft der Nachrichten (2)
 

Zur Zukunft der Nachrichten (2)

Kolumne von Walter Braun

Letzte Woche war die Rede von de ­Bottons neuem Buch über Mediennutzung und seiner Aufforderung an Redakteure, einen Erzählfluss zu schaffen, ­damit die Leser nicht den Überblick verlieren. Ein anderer Versuch, Kontext zu erzeugen, wäre die Auswertung von ­Datenbergen. Diesen Weg geht die New York Times mit einer neuen Abteilung namens „The Upshot“. Begründung: Das Publikum für datengestützten Journa­lismus sei groß, wachsend und unter­versorgt. Wird sich weisen.

Zum Thema hat sich auch Marc ­Andreessen gemeldet. Bekannt und reich ist er mit seiner Firma Netscape beziehungsweise Mosaic, dem ersten Webbrowser, geworden. Seit Jahren ist er als Risikokapitalgeber unterwegs. Als Investor in den anscheinend erfolgreichen „Business Insider“ meint er, die geschäftliche Zukunft der Medienwelt orakeln zu können.

In einem viel diskutierten Blogeintrag zur Zukunft des Nachrichtengeschäfts zeigt er sich optimistisch:
1. „Der Markt dehnt sich dramatisch aus.“ Sicher, die Weltbevölkerung wächst, detto der Zugang zur Digitalwelt. Was aber nicht heißt, dass Millionen von neuen Nachrichteninteres­senten Spendiergeld für Medien zur Verfügung­ haben. Die kolportierte Zahl von fünf Milliarden Handybesitzern lässt sich nicht unmittelbar in zahlende Medienkunden umrechnen, besonders nicht angesichts großer kultureller Unterschiede und sprachlicher Hürden.
2. Nicht einmal in den reichen Regionen der Welt erzielt exzellente journa­listische Arbeit genügend (indirekten) Werbeumsatz, um den Aufwand abzudecken. Die Zahl von Abonnenten in der Welt der Digitalprodukte lässt sich nicht vergleichen mit Print-Abos oder TV-­Subskribenten. Und sich, wie angeregt, auf Leserspenden zu verlassen, kann nur einem Multimillionär einfallen.
3. Die globalen Investitionen in investigativen Journalismus, meint Andreessen, machen jährlich bloß einige zehn Millionen Dollar aus. Allein die New York Times hat ein Redaktionsbudget von rund 200 Millionen Dollar.
4. Der „Google-Effekt“ im Web führt ferner dazu, dass die Werbeeinnahmen keineswegs bei den Produzenten der kreativen Inhalte landen. Die raue Internetwirklichkeit ist, dass Journalismus – für sich genommen – nicht finanzierbar ist. Verlage können nur überleben, wenn sie Zusatzgeschäfte aufbauen.

Nachrichtennutzer, die nicht in einer Meldungssoße ertrinken wollen, werden sich weiterhin fragen: Was ist für mich relevant? Als neues Auswahlkriterium zum Schutz unserer überlasteten Erinnerungsfähigkeit würde ich das menschlich Wünschenswerte oder ­Notwendige vorschlagen. Anlass dafür ist ein drohendes großes Vergessen. Wenn in naher Zukunft Medienunternehmen offe­rieren, das Erinnern für uns zu über­nehmen, werden wir an wesentlichen Fähigkeiten (gar an Menschlichkeit?) verlieren. Gespeicherte Daten können nie dasselbe Gewicht haben wie persönlich Gewusstes.
Lesetipp: „Erinnern Sie sich!“, Psychologie Heute compact.

[Walter Braun]



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