Kolumne von Walter Braun
Der Autor Alain de Botton hat das Thema Medien entdeckt. In „The News: A User’s Manual“ wird der wachsende Informationsschwall als Ursache geortet, dass Nachrichtenkonsumenten die Prioritäten falsch setzen – wir lassen uns emotional durch ausgefallene Ereignisse aufheizen und ignorieren fade, aber für uns viel gewichtigere Themen. Heutige Nachrichtenmedien würden Ereignisse in „einer fest entschlossenen Verfolgung des Abnormen“ auswählen.
Da ist was dran. Eine parlamentarische Debatte über Steuererhöhungen sollte uns näher sein als ein kannibalistischer Anfall eines Verwirrten. Diese Fülle an Monstrositäten, befürchtet der Gebrauchsphilosoph, drängt Leser in eine viel zu pessimistische Geisteshaltung. Ist hier ein evolutionärer Mechanismus am Werk, sodass wir eher von drohenden Gefahren erfahren wollen als von netten Ereignissen?
Abgesehen von der erdrückenden Nachrichtenfülle ist die zunehmende Komplexität von Wirtschaft und Politik ein echtes Problem für Leser (und Journalisten, würde ich meinen). Das war bei der Besetzung der Krim durch russische Streitkräfte gut zu beobachten: Den geschichtlichen Hintergrund, zum Beispiel Tartarenvertreibung und forcierte Ansiedelung von Russen, erwähnte kaum ein Blatt (stattdessen viel EU- und USA-Beschimpfung). Leser, moniert de Botton, würden eine laufende Einbettung brauchen, um insulare Meldungen in einen Zusammenhang zu bringen. Ich denke, dass die vielen Kommentarecken (und informierte Lesermeinungen) genau diesen Kontext schaffen, dessen Abwesenheit er beklagt.
Nachrichtenmedien, meint de Botton, würden heute soziale und politische Wirklichkeit schaffen sowie Orientierungshilfe bieten, die früher von der Religion wahrgenommen worden ist. Wäre es besser, wenn Tageszeitungen zu einäugigen Sozialaktivisten mutieren?
Letztlich versteht de Botton zu wenig von der Branche. Die wichtige Frage, wie die sehr teure Erstellung und Verbreitung von Nachrichten finanziert werden kann, hat er übersehen. Dass Medien in einem existenziellen Wettbewerb stehen, merkt der Millionär nicht.
Gewichtiger ist das eben erschienene Buch „The Invention of News“. Zeitgeschichteprofessor Andrew Pettegree verfolgt hier sehr detailliert, wie sich die Berichterstattung von handgeschriebenen Nachrichtenblättern für Habsburger Kaiser über die ersten, unglaublich faden Tageszeitungen zu den heutigen Nachrichtennetzwerken entwickelt hat. Pettegree kommt zu dem Schluss, dass unser Hunger auf Nachrichten schon lange vor gedruckten Medien bestanden hat und noch lange nach einem Hinscheiden von Tageszeitungen weiterbestehen wird.
Vielleicht werden künftig Kraut-und-Rüben-Sites wie BuzzFeed oder soziale Medien à la Facebook zu den dominanten Drehscheiben des allgemeinen Nachrichtengeschäftes, wo sich Nutzer aussuchen, was ihrer momentanen Stimmungslage entspricht?
(Fortsetzung folgt.)
[Walter Braun]