Wissen vor Chauvinismus?
 

Wissen vor Chauvinismus?

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Jenseits des HORIZONT

Der „deutsche“ Medizinnobelpreisträger Thomas C. Südhof weiß selbst nicht, ob er nun Deutscher ist. Es ist ihm auch gleichgültig. Der an der Stanford Uni­versity lehrende Südhof befand sich in Spanien, als er über den Nobelpreis benachrichtigt wurde. Der deutsche Bundespräsident hat gratuliert. Seinem „Landsmann“, der in den 80er-Jahren in die USA ging. Braindrain nennt man das.

Das Universitätsranking zeigt, dass österreichische Universitäten weiter an Bedeutung verlieren. Die Universität Wien schafft es gerade unter die Top 200. Deutlich voran liegen die US-amerikanischen, britischen Unis und einige wenige deutsche Exzellenz-Hochschulen. Auch die ETH Zürich etabliert sich seit Jahren verlässlich im vorderen Drittel.

Man darf sich nicht wundern, dass die Amerikaner, trotz aller Schwächen ihrer Realwirtschaft, Finanzblase und geradezu infantiler Budget-Auseinandersetzung, in den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts jene Hegemonie haben, die entscheidend ist für die „Cyber-Macht“: Genforschung, Neuro-, Biowissenschaften und IT sowie Big-Data-Management. Die Europäer, besonders die Deutschen, verharren auf dem Stand exzellenter Maschinenbauer, „angewandte Granden“. Und weisen exzellente Ergebnisse in der Green Technology auf. Das alles aber sind Zulieferbranchen. Keine Schlüsseltechnologien, lediglich Anwendungen. Die grundlagenbasierten Entwicklungen ereignen sich anderswo. An den Topuniversitäten, die Zeit, Raum haben, die besten Köpfe anziehen, weil sie sich erfolgsorientiertem Anwendungsdruck entziehen. Die meisten dieser Universitäten befinden sich in den USA. Der Braindrain dorthin ist nach wie vor gegeben. Die kulturelle Hegemonie hat man verkommen lassen. Geistes- und Sozialwissenschaften haben keinen Stellenwert mehr. Sie sind „nutzlos“.

Österreich gründete vor über zehn Jahren mit großen Mühen und teilweise gegen den Widerstand der akademischen Community das ISTA. Man hört wenig davon. Gut so. Mediale Boulevardisierung würde dieser Institution schaden, die mittlerweile beachtliches Renommee hat und gute junge Wissenschaftler anzieht. Ob und wann konkrete Forschungsergebnisse präsentabel sind, weiß man nicht. Auch das ist gut so. Wissenschaft und Forschung können nicht ergebnisorientiert sein. Darin liegt ein großes Missverständnis.
Das begründet zum Teil die Misere in diesem Land. Jahrelang wird über Zugangsgebühren gestritten, so getan, als ob Universitäten Ausbildungsorganisationen für brauchbare Jobs wären, zugleich viel zu wenig in Universitäten investiert. Das Gefasel vom freien Zugang zu universitärer Bildung behindert eine offene Debatte über die Bildungs- und Forschungslandschaft Österreich. Der Braindrain geht weiter. Österreich war einmal stolz auf seine Nobelpreisträger. Verdrängend, dass ein Großteil davon zwangsläufig emigrieren musste, als der Faschismus und Nationalsozialismus Intelligenz vertrieben, und die wissenschaftliche Karriere im Exil erst begann.

Seit Jahrzehnten, Literatur ausgenommen, gibt es keinen Nobelpreis­träger. Kaum Kandidaten oder Nominierungen. Zuletzt waren es die Professoren Lorenz und Frisch in den 70ern. Wir sollten beachten, dass nicht nur Kapital ein mobiles Wesen ist, sondern vor allem auch Wissen. Chauvinismus und Kleinbürgertum haben hier wenig zu suchen. Siehe Südhof.

[Jenseits des HORIZONT]



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