Jenseits des HORIZONT
Der „Kampfruf“ der Libération-Mitarbeiter klingt gut – für alle Nostalgiker des exklusiven Zeitungsvergnügens. Nostalgie wird rasch zum Anachronismus. Anachronismus kann aber rasch wieder zur Avantgarde werden. Zeiten ändern sich. Den französischen Medien geht es generell nicht gut, den spanischen nicht, den griechischen ohnehin nicht. Selbst die Gratispresse leidet an der Anzeigen- und Reichweitenflaute.
Hingegen tätigen Springer, Burda & Co. einen Zukauf nach dem anderen: quer durch den Gemüsegarten. Reiseportale, Vergleichsportale, hin und wieder auch ein TV-Sender, um die Multimedia-Kompetenz zu erhöhen. Die Medienunternehmen befinden sich am besten Wege zu digitalen Business-Maschinen. Sie brauchen es wahrscheinlich, um zu überleben.
Dennoch, bei aller digitaler Euphorie und gigantischen digitalen Umsatzsteigerungen: Selbst die großen Medienhäuser wie Springer machen das echte Cash immer noch mit ganz normalen Anzeigen.
Gibt es eine Chance für die Tageszeitung und das Magazin ohne angeschlossenes Restaurant und Bar sowie multimediales Eventcenter? Einige erratische Blöcke sprechen dafür: Die Zeit trifft den Zeitgeist, hat das richtige Maß für eine Wochenendlektüre, beherrscht den Medienmix aus Online-Information mit Hintergrund und baut nun ein eigenes Research-Team auf.
Vice, ein ehemaliges Jugend- und Revoltemedium, investiert plötzlich in Nachrichten und Politik, stockt die Redaktion auf und hat Chancen, Leitmedium für eine Generation zu werden, die Big-Data-kritisch und dennoch im Grunde konservativ bleibt. Die Landlust bedient nach wie vor die LOHAS und gut situierten Nimbys, die für alternative Energie, aber gegen Windräder und Starkstromtrassen vor der eigenen Haustüre sind.
Nischen funktionieren. Und sie werden wieder größer, weil die Gesellschaftsstrukturen sich ändern, die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Das segregiert und separiert. Medien sind ein Spiegel dessen.
Es wundert nicht, dass das mehrmals totgesagte Fernsehen nach wie vor – und wieder verstärkt – zum Leitmedium wird. Allerdings in einer Fragmentierung der Channels und im geschickten Reagieren auf die neuen Consumergewohnheiten: Die Elite ist sich nicht mehr zu schade, sich zu Seriensucht und Binging zu bekennen, die abgründig bösartigen Netflix-Serien wie „House of Cards“, mittlerweile mit zweiter Staffel und auch bei Sky, sind Kult, und für die Poor und Hartz IV bleibt immer noch der Dschungel. Großer Bruder, kleiner Bruder. Fußball ist klassenlos und massenhaft geworden – elektronische Medien spiegeln das gut wider. Man produziert wieder selbst, die großen TV-Filme feiern Renaissance, hybride Plattformen wie Netflix, Hulu & Co. befeuern das Ganze für die Multiscreen-Generation.
Dem hätte Print – auch als Multimedium – die große Narration gegenüberzustellen. Insofern stellt man sich schon die Frage: Zeitung (in welcher Form auch immer) oder Restaurant und Café? Man erinnere sich: Es gab auch die Zeit des massenhaften Kaffeehaussterbens. Bedauert von eben jenen Nostalgikern, die ihnen den Todesstoß versetzt hatten.
[Jenseits des HORIZONT]