Wir Semi-Alphabeten
 

Wir Semi-Alphabeten

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Jenseits des HORIZONT

„Fast eine Million Österreicher können nur unzureichend lesen“ titelt derstandard.at. Es handelt sich um die „PIAAC“-Studie, deren Ergebnisse für Österreich ernüchternd sind. Ein ­Achtel der Bevölkerung kann einfache Texte nicht lesen und verstehen.

Die Erkenntnis ist nicht neu, seit Jahren weiß man, dass die Zahl von Menschen mit sekundärem Analphabetismus steigt, Jugendliche vermehrt Kulturtechniken nicht mehr beherrschen und junge Erwachsene weder schreiben noch lesen können.

Der Standard inkriminiert das. Und zeigt sich dabei grammatikalisch nicht sattelfest. Sprachungenauig­keiten im Qualitätsblatt nehmen zu. Floskelhaftigkeit und Leerformeln sind im scheinbaren Qualitätsjournalismus ebenso verbreitet. Was man der Politik vorwirft – Schlagwortaktionismus und Leerformeln – spiegelt man im eigenen Medium wider. Quellen werden falsch oder nicht zitiert, der Anteil an zu übernehmenden Agenturmeldungen steigt beängstigend. Österreichs „führende Wochenmagazine“ sind sich nicht zu schade, zehn bis 15 Tage nach Erscheinen der deutschen Magazine und Sonntagszeitungen – vor allem WaS und FaS – nahezu satz- und wortidente Storys, versetzt mit ein paar heimischen Schmankerln, zu wiederholen.
Es sind dieselben Medien, die sich über den Eklektizismus der Huffington Post alterieren oder Google inkriminieren, weil es Aggregation betreibt. Wenn man selber nur noch Information aus dritter und vierter Hand, noch dazu sprachlich nicht immer korrekt, bietet, und ein paar Kommentare mit der immer gleichen Larmoyanz dazu mischt, muss man sich nicht wundern, wenn die Gratis-Plattformen und Gratis-­Urban-Mover-Zeitungen an Reichweite und Einfluss gewinnen.

Wer sich über den Niedergang der Leserkultur beklagt, muss sich fragen, welchen Beitrag er dazu leistet. Im Zweifel zieht der Konsument leicht konsumierbare Gratiskost – Take-away-Medien – vor, wenn die Alternative bezahlbarer, lauer Aufguss ist.

Qualitätsmedien wollen Filter sein, kundige Selektoren und Interpreten, sie nehmen die Deutungshoheit für sich in Anspruch und fordern Medienvielfalt.
Vielfalt ist bei einfältigen Konsumenten aber kein Asset. Rasches Konsumieren verlangt kleine Happen. Dies bietet der Boulevard – auch für so­genannte Analphabeten und Non-­Reader.

Wer andauernd von Journalismus und Berufsethos spricht, sollte das auch ernst nehmen. Und zumindest Lektoren und Korrektoren einsetzen.
PS: Die Standard-Meldung wurde nie korrigiert, zumindest nicht bis zum 12. 10. 2013. In einem weiteren Kommentar war zu lesen: „Der nächste Bildungsminister darf darum weder rot noch schwarz sein. Nur eine Person, die vom Erbe des ewigen Bildungsstreits unbelastet ist und nicht auf die Interessen der Parteifunktionäre schielen muss, kann die nötigen Reformen umsetzen … für ein Ende des Stillstandes sollten sich SPÖ und ÖVP in der nächsten Koalition eine Partei dazuholen. Das Bildungsministerium sollte von den Grünen oder den Neos besetzt werden …“ PIAAC. Kannitverstan. Hebel grüßt.

[Jenseits des HORIZONT]



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