Kolumne von Walter Braun
Eine interessante Geschichte kam kürzlich ans Tageslicht: Leah Palmer, die in der Modebranche arbeitet und ständig um die Welt jettet, sammelte Tausende Anhänger auf Twitter. Viele skypten mit ihr, manche drängten auf ein Rendezvous. Doch im letzten Augenblick kam immer etwas dazwischen. Ein Mann verließ sogar seine Freundin für die verführerische Leah.
Banal? Nicht wirklich. ‚Leah Palmer‘ existiert nämlich nicht. Ein Betrug, der auf einer gestohlenen Identität beruht und über Jahre hinweg auf allen sozialen Medienkanälen gespielt wurde. Irgendwann entdeckte Ruth Palmer – die eigentliche Besitzerin der Porträtfotos – den Schwindel. In drei Jahren sind über 900 Bilder von ihrem Instagram-Account kopiert worden. Sie ließ den Account der falschen Frau Palmer schließen. Sich online eine falsche Identität (genannt „Catfish“) umzuhängen, passiert gar nicht so selten.
Dass so viele Opfer sich in ein reines Phantom verliebt hatten, beweist, dass nichts leichter ist, als uns mit unseren eigenen Fantasien zu verführen: Wir sehen, was wir sehen wollen. Wenn dann eines Tages Virtual Reality sehr realitätsnah wird, könnten viele sich veranlasst sehen, sich vom echten Leben abzuwenden und die Gesellschaft von Kunstfiguren bevorzugen.
Zu weit hergeholt? Gerade hat in Kalifornien ein Hersteller von Sexpuppen („Realdoll“, die bis zu 10.000 Dollar pro Stück kosten) ein Projekt namens „Realbotix“ präsentiert. Es soll nicht nur zum Abreagieren von sexuellem Frust, sondern auch der Kommunikation dienen. Sein Ziel, so der Entwickler, sei ein Kunstgeschöpf, das über das Körperliche hinaus auch „intellektuell und emotional erregen kann“– für eine „richtige Beziehung“ zwischen Mensch und (scheinbar angeturnter) Maschine. Dass rasch zwischenmenschliche Gefühle zu Robotern entstehen können, hat sich bereits bei primitiven Geräten gezeigt.
Entwicklungen dieser Art können durchaus zerstörerische Folgen haben. Beispielsweise könnte die Fähigkeit, Gesichter schnell zu lesen, verloren gehen. Rundum ist bei jüngeren Leuten Verunsicherung zu registrieren, sobald sie bemerken, dass man sich von ihnen rasch ein Bild macht. Da sie sich zunehmend auf mediatisierte Kommunikation verlassen, sind sie nicht länger in der Lage, Stimmungen oder Gesichtsausdruck verlässlich zu deuten. Stattdessen der ängstlich-zornige Ausruf: „Don’t judge me.“
Ein deutscher Dichter hat einmal klug angemerkt: Das Gesicht wachse um die Seele. Wird eine Zeit, in der Menschen ihre Gesichter bevorzugt Maschinen und Bildschirmen präsentieren, ein seelenloses Zeitalter sein?
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Walter Braun]