Was haben Print und TV, was das Net nicht hat...
 

Was haben Print und TV, was das Net nicht hat?

Kolumne von Walter Braun

Eine Anmutung von Gefühl. Zumindest, was die Werbung betrifft. Die Klage kommt von Sozialen Medien, die Millionen Mitglieder vorweisen und um Milliarden verkauft werden (etwa Pinterest, Instagram, Tumblr). Sie besitzen attraktive Web-Präsensenz und treue Anhängerschaft, aber mit den Werbeeinnahmen ist es nicht weit her. Werbung wird von den Nutzern in ­diesem Umfeld als störend oder steril empfunden.

Online regiert seit dem Jahr 2000 Google mit den AdWords – textbasie­renden Anzeigen, die auf Auswertung großer Datenberge hin quer durch das Internet geschleudert werden. Daneben gibt es noch Display-Anzeigen in verschiedenen Formaten, von versteckt ins Eck gedrückt bis brutal den Bildschirm kapernd. Beide Formate zusammen (Suche: 46 Prozent, Display 21 Prozent; Stand 2012) machen zwei Drittel der ­digitalen Werbung aus. Die große Hoffnung war und ist, kommerzielle Kommunikation relevant zu machen, indem man ihre Platzierung auf das Umfeld ­beziehungsweise Suchverhalten von ­Individuen abstimmt. Die Werbung ist aber oft öd, manchmal gar unheimlich, wenn man sich geradezu ertappt fühlt. ­Vermutlich verlangt die Digitalwelt nach einer neuen Ästhetik, die noch ­gefunden werden will (ein sehr guter Versuch: die Ralph-Lauren-Werbung auf qz.com, jüngst nutzte die Harvard Business School denselben Stil).

Zwischenzeitlich wird in die Mottenkiste gegriffen. Die alte Schleichwerbung ist unter Namen wie „Sponsored Content“ oder „Native Advertising“ wieder aufgetaucht. Auch Brutalwerbung hat ein Comeback erlebt – die Aufmerksamkeit soll mit Schock erzwungen werden. Selbst die größten Marken machen mit; eine Reihe prominenter Namen wie Pepsi, Ford, Reebok, General Motors, Hyundai und so weiter sah sich mit öffentlicher Verärgerung konfrontiert und musste entschuldigend ihre Auftritte zurück­ziehen. In Groß­britannien heimste die Website Go Compare die meisten ­Beschwerden ein – nicht aufgrund ihres irritierenden Opernsängers, der sich seit Jahren ins Werbebild zwängt, sondern in den ­gestellten Reaktionen: Prominente, die schon so entnervt sind, dass sie den ­Bariton mit einem Fußball in den ­dicken Bauch kicken, während eine TV-Ansagerin sogar einen Raketenwerfer auf ihn gerichtet hatte …

„Es geht zu wie im Wilden Westen“, gestand Paul Malstrom, einer der Gründer der Werbeagentur Mother. Besonders im regelfreien Internet, wo alles auf die Spitze getrieben wird. Was eigentlich logisch ist angesichts der Unmenge von Eindrücken, denen man heutzutage ausgesetzt ist (was auch erklärt, warum es mittlerweile digitale Fastenkuren gibt, im Zuge derer man in medienfreier Umgebung auf Entzug gehen kann).

Web-Werbung sollte also ästhetisch, emotional und relevant sein. Aus der Ferne beobachten, was jemand online tut, erklärt nicht automatisch, warum man es tut. Erst wenn die Motivation verstanden wird, werden personalisierte Anzeigen wirklich funktionieren …

[Walter Braun]
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