Was feuert den Ethiktrend an? (1)
 

Was feuert den Ethiktrend an? (1)

Kolumne von Walter Braun

Zum dritten Mal seit den 1980ern ist eine Ethikwelle angesagt. Ich glaub’s erst, wenn ich es sehe. Die aktuelle „Arena-Analyse“ von Kovar & Partners kommt nach einer Expertenbefragung zu dem Schluss, dass eine „tiefe Sehnsucht nach Moral im Alltag“ besteht. Zweifelsohne. Die an der Umfrage beteiligte Wochenzeitschrift Die Zeit schlussfolgerte: „Man kann vermutlich von ­einer Rückkehr der Werte sprechen.“ In der Politik wird von den Befragten ein fehlender Wertekompass moniert. Überregulierung und Kommandowirtschaft wurden beklagt. Nicht über­raschend, wenn der „Trust Barometer“ von Edelman PR zu ähnlich skeptischen Befunden kommt. Diese regelmäßig durchgeführte, internationale Erhebung zur Entwicklung des Vertrauens hat jüngst wiederum tief sitzendes ­Misstrauen der Bürger gegenüber den Regierungen attestiert. Ferner glaubt man weltweit den Medien immer ­weniger. Die Studienautoren denken, dass sich zumindest das Vertrauen in Unternehmen stabilisiert.

Möglicherweise eine fromme Hoffnung. Einige wissenschaftliche Studien haben Wirtschaftsstudenten ein vergleichsweise mickriges moralisches ­Engagement nachgewiesen. Weder Ethikkurse für Business-Studiosi noch in Unternehmen ausgehängte Werte­listen bewirken bessere Charaktere. Die mehrfach verurteile Großbank Barclays hat sich nach dem jüngsten Skandal neue Werte verordnet: „Respekt – Integrität – Service – Exzellenz – Selbstverpflichtung“. Die Anfangsbuchstaben ergeben RISES. Ob neben dem Aktienkurs auch die Moral ansteigt? Zurzeit fallen die Gewinne, während die Bonuszahlungen an Manager zugelegt haben …

Es wäre aber unfair, bei der Ethikfrage immer nur auf Banken, Großkonzerne und die Spitzenpolitik zu deuten. Eine eben veröffentlichte Studie der EU-Kommission befragte 4.600 Leute in zehn EU-Staaten zu ihrem privaten Herunterladeverhalten. Ergebnis: 68 Prozent besorgen sich online Filme, ohne dafür zu bezahlen. Obwohl die Erhebung nicht danach fragt, kann man ­ableiten, dass ein Großteil dieses Filmkonsums urheberrechtlich geschütztes Material betrifft. Bei Musik liegt der ­Anteil von illegalen Downloads noch höher. Hier mangelt es sicher an ­Unrechtsbewusstsein, während die ­Kreativschaffenden immer schwierigere Lebensbedingungen vorfinden.

Wenn man die ethische Frage mit ­Gesetzen und Verordnungen lösen will, wird Moral nie verinnerlicht und bei ­jeder besseren Gelegenheit umgangen. Märkte kann man dafür nicht verantwortlich machen. Eine reife Gesellschaft muss akzeptieren, dass sowohl Kooperation als auch Wettbewerb tief sitzende menschliche Motivationen ansprechen. Nur eine gute Balance der beiden Bedürfnisse ist auf Dauer produktiv. Dazu braucht es Fairness, aber auch die Bereitschaft, entstehende Ungleichheiten zu akzeptieren. Eigentlich logisch. Doch möglicherweise steckt hinter der aufgeflammten Wertediskussion eine tiefere Umwälzung. (Fortsetzung folgt.)

[Walter Braun]



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