Kommentar von Walter Braun
Sagt Ihnen World of Warcraft etwas? Sollte es. WoW ist das größte Computerspiel der Welt, an dem sich elf Millionen (!) Spieler beteiligen. Einer Erhebung zufolge verbringen sie damit wöchentlich im Schnitt nicht 20 Minuten, nein, 20 Stunden! Ein ganzer Halbtagsjob. Die digitale Spielebranche wächst wie wild. 60 Milliarden Dollar Umsatz heuer, beinahe schon soviel wie die gesamte Filmindustrie und Musikbranche zusammengenommen. In vier bis fünf Jahren sollte sie laut Analystenschätzung 100 Milliarden Dollar erzielen. So sieht die Zukunft der Unterhaltungsbranche aus. Angetrieben von der Generation Y, geboren zwischen den späten1970ern und 1994, deren Kaufkraft jene der Baby-Boomer-Generation im Jahr 2017 übertreffen wird. Sie werden der Zeit ihren Stil aufprägen.
Doch nicht alles wird digital-futuristisch sein; ein Teil dieser Generation hat ein ausgeprägtes Verlangen nach einer handfesten Ästhetik, die weiter zurückreicht als der letzte Modeschrei. Gleichzeitig ist der Cyberspace für sie wie ein zweites Zuhause. Spiele wie World of Warcraft sind so faszinierend, dass sie für ihre Anhänger zu einer Ersatzwelt werden. Das zeigt sich auch in dem derzeit vom US Unterhaltungsfernsehen bevorzugten Genre: Dem Jungvolk wird fast ausschließlich Fantasy angedient. Dutzende und Aberdutzende US-Serien, die Übermenschen und Fantastisches zum Inhalt haben. Da könnte ein unbeteiligter Beobachter auf die Idee kommen, dass dieser Generation ein normales, reales Alltagsleben als nicht interessant genug erscheint im Vergleich zu den berauschenden Digitalwelten.
Ein digitales Doppelgängerleben ist psychologisch nicht ganz harmlos angesichts des Suchtpotenzials des Cyberspace. Die angesehene britische Forscherin Susan Greenfield befürchtet, dass intensive, lang anhaltende Aufenthalte in computergenerierten Welten zu chemischen Veränderungen im Gehirn führen. Eine chinesische Studie mutmaßte kürzlich, dass bei Internet-Süchtigen gewisse Gehirnareale zu schrumpfen beginnen. Digitales Leben verharrt in einer ewigen Gegenwart. Im wirklichen Dasein dagegen ist jeder Augenblick kostbar, da vergänglich und unwiederholbar. Exzessives Videospielen, langes Verweilen mit sozialen Medien und ausgedehntes Web-Surfen könnte, so fürchtet die Wissenschafterin, massive Folgen für die Identität der Betroffenen haben. Digitale Spiele, loben einige, heben den IQ an; was aber, wenn daneben die emotionale Reife verkümmert? Eine wissenschaftliche Erhebung, die die Einstellung von US-College-Studenten studierte, kam zu dem Schluss, dass die Einfühlungsbereitschaft in den letzten 30 Jahren, und ganz besonders in den vergangenen zehn Jahren messbar zurückgegangen ist.
Diese Problematik betrifft auch die übrige Medienwirtschaft, die oft genug vorgibt, Information wäre gleichzusetzen mit Wissen. Was keineswegs der Fall ist. Berge von Daten versprechen nicht automatisch Einsicht. Und schon gar nicht Weisheit, die heutzutage die größte Mangelware ist …
Walter Braun