Über Misstrauen und Recht-Staat
 

Über Misstrauen und Recht-Staat

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Jenseits des HORIZONT

Jeder misstraut dem anderen. Und jeder glaubt in Zeiten des Web 2.0 und der falsch verstandenen Partizipation, sich wehren zu müssen. Die Misstrauensgesellschaft ist der erste Schritt zur Entsolidarisierung.

Scheinbar untadelige Bürger wehren sich. Werden zu fanatischen Bürgerrechtskämpfern, wenn sie sich bedroht fühlen: Durch ein Kraftwerk, durch eine Hochleistungs-Stromtrasse, durch Windräder oder mögliche Flugplatzerweiterungen, durch nahezu alles, was an öffentlicher Infrastruktur notwendig wäre. Und sei es nur ein Radweg vor der Haustür oder das Auflösen eines Parkplatzes.

So entstehen rabiate Ego-Manien von wenigen, die geschickt die medialen Verstärker nutzen und instrumentalisieren. In der Regel – hat eine ­Studie ergeben – sind es gebildete Bürger um die 45 bis 60, strukturell gut verdienend, bislang wertkonservativ, zwischen Grün und Schwarz (partei­bezogen) oszillierend, biologisch und ökologisch als Luxuskonsumenten und besitzstolz. Die modernen Spießer sind Bürgeraktivisten. Und Recht-­haben-Woller in eigener Sache.Misstrauen prägt diese Gesellschaft. Alles, was an Neuem, Ungewohntem kommt, wird als feindlich betrachtet. Mit kognitiver Dissonanz mimt man den Liberalen und Aufgeklärten, solange ­direkte Betroffenheit nicht gegeben ist. Bio und Umweltbewusstsein ja, solange es auch im Winter die biologischen Erdbeeren gibt und die Einspeisung von alternativem Strom steuerlich gefördert wird. Und überhaupt: Rettet die Natur (oder das romantisierte Naturklischee?).Überwachungsheischend dort, wo es scheinbar darum geht, Daten zu arrogieren und zu akkumulieren. Und nach Kontrolle schreiend, wenn es darum geht, Individualismen einzuschränken. Es gibt derzeit eine Partei, die sich selbst als „Sauberpartei“ bezeichnet und damit sogar öffentlich wirbt. Es sind nicht die strammen Rechten von einst, sondern die Grünen von heute. Die Reglementierungspartei. Die Transparenzpartei. Die Misstrauenspartei der kognitiven Distanz. Die Spießer von heute. In die Jahre gekommen und ohne Fantasie. Die ist in Kontrollwahn umgeschlagen.

Statt offener Gesellschaftspolitik gibt es gut ­gemeinte Repression. Die „totale“ Transparenz, begleitet von „totaler Kontrolle“ und „Sauberkeit“. Fantasie, gesellschaftliche Vision, kulturelles Freidenken sind nicht mehr am Platz. Wenn es um Kunst und Kultur geht, steht die Sozialversicherung für Künstler im Fokus: Oder die Fehlleistungen mancher Kulturmanager (kleinlich aufgelistet wie beim Erbsenzählen). Auch gut und korrekt. Aber kulturlos banausenhaft. Hier naht eine leise und scheinbar harmlose basisdemokratische ­Revolte des modernen Spießigen.


Man hat diese Generation einmal als Nimbys (Not In My Backyard) bezeichnet.


Das ist um eine Spur zu sanft. Hier entwickelt sich Misstrauens- und Rechthabensterror der gebildeten Kapselmenschen.

[Jenseits des HORIZONT]



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