Sorgen um Ö1
 

Sorgen um Ö1

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Jenseits des HORIZONT

Ich mache mir Sorgen um Ö1. Klingt nach Luxus, ja. Dabei geht es – verglichen mit Song Contest und anderen Ausgaben des ORF – nicht um viel Geld. Sondern um schleichenden Identitäts- und Kulturverlust eines Senders. Ö1 ist nicht klassischer Musiksender und auch nicht Informationssender. Sondern Kultursender. Mit einer Heimat. Das scheinen die Verantwortlichen nicht mehr wahrnehmen zu wollen, trotz steigender Reichweiten und aktiver Teilnahme der Fans am Sender.

Seit Wochen wird nach einem neuen Programmchef gesucht, seit Monaten spricht man von Budgetkürzungen. Der Radiointendant entäußert nicht mehr als radiodesaffine Belanglosigkeiten. Als wären ihm weder der Sender noch das Programm, weder die Anliegen seiner Mitarbeiter noch das Funkhaus selbst auch nur einen Funken Emotion und Engagement wert. Wie sein oberster Chef ist er damit beschäftigt, seinen Posten zu sichern, sich Ecken abzuschleifen oder, besser gesagt, abrunden zu lassen.

Ö1 ist auf der Informations- und Poli­tikebene ein herausragender, weltläufiger, einzigartig mutiger, ironischer, sich zur Debatte bekennender Sender. Die Musikredaktion muss aus budgetären Gründen verstärkt zu Konserven greifen. Radio-Liveübertragungen von großen Aufführungen kosten, sind technisch aufwendig, benötigen Akkustik­regisseure und Raumästheten. Da fällt es leichter, im TV werberelevante Opera Shows zu übertragen: bringt mehr, kostet nicht viel mehr und spricht – vermeintlich – ein breiteres Publikum an.

Dazwischen aber verödet das, was Ö1-Reformer und Former Alfred Treiber das Kulturelle genannt hat: jene Geistes­haltung des offenen Diskurses, des Gesprächs, jenes Kultivieren von Sensorien, die offen machen für Genuss und Bedrohung, die Wissen einbetten in gesamtgesellschaftliche Erkenntnis. Die keine Scheu vor Anstrengung hat. Dafür fehlen offensichtlich die Sensorien. Und das Geld. So wird Ö1 zu einem Klassik- und Informationssender entwürdet. Symbol dafür ist der bereits beschlossene Auszug aus dem Funkhaus. Die politische Klasse hat dagegen kaum rebelliert oder (finanzielle und infrastrukturelle) Hilfe angeboten, die ORF-Führung will ihren Zentralisierungs- und Kostenreduktionskurs weiter verfolgen (gegen einen multimedialen Newsroom, um es ebenso bekennend zu sagen, ist nichts einzuwenden, falls er Ressourcen hat und nicht Personalreduktion intendiert), die Öffentlichkeit scheint ohnmächtig. Die Schreie der Protestierer verhallen. Die Argentinierstraße ist mehr als eine Sender-Location. Das Funkhaus ist mehr als ein Radiomanagement-Center. Es ist große Architektur, Verkörperung jenes Quentchens Weltläufigkeit verknüpft mit Geborgenheit, den Österreichs Denker­elite noch hat. Es ist Metapher für Geistes- und Gedankenfreiheit und Verweigerung des Mainstreams. Und europaweit ein Vorbild – noch – für alle Radiokultursender. Das werden sämtliche EU-Intendanten bestätigen.

Ö1 als europäisch-österreichisches Signal. Eine Idee? Mit dem Funkhaus als Begegnungsstätte. Man darf hoffen, dass in den Personaldebatten – Ö1-Chef ebenso wie Radio-Chef – der Geist der Qualität und nicht der Ungeist der Adaptionsfähigkeit sich durchsetzt. Radio ist ja eh nicht so wichtig. Vielleicht ist das ein Argument für die österreichischen Medienpolitiker. Sollen sie dort laissez faire beweisen. Sie werden es nicht bereuen.

[Jenseits des HORIZONT]



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