Kommentar von Walter Braun
Seit den 1960er-Jahren ist der Slogan „small is beautiful“ reichlich oft recycliert worden. Die Phrase stammt von dem gebürtigen Salzburger Leopold Kohr, der 1938 in die USA auswanderte und dort Ökonomie und Politische Philosophie unterrichtete. Er charakterisierte sich selbst als „philosophischer Anarchist“, der eine starke Abneigung gegen den „Kult der Größe“ hat. In seinem 1957 erschienen Buch „The Breakdown of Nations“ argumentierte er, dass hinter allem sozialen Elend so gut wie immer eine Ursache stehe, nämlich Übergröße. Das mag vereinfacht klingen, aber alle Großreiche der Geschichte sind zerfallen.
Genauso ergeht es jetzt den USA, deren Militärausgaben größer sind als die des Rests der Welt zusammengenommen, obwohl das Land noch nie von außen militärisch angegriffen worden ist. Von einem ähnlichen Größenwahn ist die EU infiziert, die sich zu rasch und weit ausgedehnt hat. Wollte man nicht auch die Ukraine und die Türkei anlocken? Alles natürlich in bester brüderlicher Absicht. Doch nicht nur Russland beurteilte dies als „Eroberungspolitik mittels Scheckbuch“.
Nun stehen wir vor dem Scherbenhaufen der stillen und so teuren Großmachtpolitik. Natürlich ist für Banken Größe gut – solange das Motto „too big to fail“ hält und sie vom Steuerzahler im Falle von Fehlspekulationen herausgerissen werden. Markenartikler wie Apple profitieren sicherlich von ihrer Größe: Sie haben mehr Kapital für Innovationen und sind in der Lage, die Konkurrenz aufzukaufen. Globale Dienstleister wie Vodafon können ein Minus von fast zehn Prozent in Spanien durch überdurchschnittliches Wachstum in der Türkei wettmachen.
Dennoch: Größe verleitet auch zu großen Fehlern. Die riesige US-Buchhandelskette Borders ist laut Analystenmeinung wegen Amazons billigeren Online-Verlockungen eingegangen. Trifft das zu? Nein, kleine Buchgeschäfte machen in den USA nun wieder auf. Ein neuer Trend, der mehrere Ursachen hat: (a) der Wunsch nach haptischen Erlebnissen als Reaktion auf eine entkörperlichte Existenzin den Digitalwelten. (b) Hunger nach Beziehungen – in einem kleinen Geschäft erkannt und persönlich adressiert zu werden, ist angenehmer, als an anonymen Supermarktkassen vorbeizudrängeln. (c) Die Einsicht, dass es einen Zusammenhang zwischen massenhaften Importen aus China und lokalem Arbeitsplatzschwund gibt. (d) Zudem regt sich das ökologische Gewissen wider Überkonsum und Fernimporte. Dass sich im Net neben den Nachrichtengiganten eine florierende Medien-Subkultur entwickelt hat, ist wohl auch Ausdruck dieser Tendenz.
Leider ist die Politik total auf „groß“ eingeschossen und dadurch mit schuld an der derzeitigen Arbeitsplatzkrise des Westens, aus der nur eine neue Welle von kleinen Selbständigen herausführen kann. Glamour und Luxusmarken brauchen ein Flair der großen, weiten Welt. Im kreditfinanzierten Urlaub und in der Karibik-Bar können wir uns alle leicht als Weltbürger fühlen, im Alltagsverhalten sind wir aber eher Dörfler. Vielleicht beginnt nun eine ehrlichere Zeit, in der man wieder bescheidenere Selbstansprüche stellt …
Walter Braun