Kommentar von Walter Braun
In den vergangenen Wochen konnte man den Eindruck gewinnen, dass es neben den Ereignissen in der arabischen Welt nichts Wichtigeres gäbe als mobile Konsumelektronik. Bei dem eben stattgefundenen „Barcelona Mobile World Congress“ standen auffallend raffinierte Handys im Mittelpunkt. Der koreanische Konzern LG rückte mit einem 3D-Smartphone an, für das man keine Spezialbrillen braucht. Sony Ericsson wiederum wartet mit einem Handy namens „Xperia Play“ auf, das eher wie eine PlayStation denn ein handliches Telefon aussieht. Während der chinesische Hersteller ZTE aus seiner Zielgruppe gleich gar kein Hehl machte und ein Handy in Form eines Skateboards präsentierte.
Zur selben Zeit wurde in Kalifornien die wenig bekannte Firma Zynga von Investoren mit gut 7 Milliarden Dollar bewertet. Das nur drei Jahre alte Unternehmen lebt davon, Dinge zu verkaufen, die bloß in der Fantasie existieren – digitales Zubehör für Online-Spielwelten wie „FarmVille“. Zynga kann sich rühmen, monatlich über 270 Millionen Teilnehmer an ihren Spielen zu vereinen. Bezahlt werden die virtuellen Güter mit harter Münze, aber die Online-Transaktionen selbst erfolgen über eine virtuelle Währung namens Credits, die wiederum Facebook gehört (die mit 30 Prozent Abwicklungsgebühr ordentlich mitschneiden).
Apropos Geld. Eben ist Google mit einem neuen Bezahlsystem unter dem Namen „One Pass“ herausgerückt, das Verlegern erlaubt, einen einfachen Bezahlmechanismus für Online-Artikel zu installieren. Medienhäuser wie Associated Newspapers, stern.de, El Pais und Le Nouvel Observateur zeigen bereits Interesse – damit sollte allmählich das Alles-ist-gratis-Zeitalter im Nachrichtenbereich zu Ende gehen. Das System ist einfach: Verlage setzen fest, was ein Abo bzw. einzelner Artikel oder Zugang zum Archiv kostet. Die Nutzer können die Artikel sehen, aber nicht zur Gänze lesen – den vollen Textzugang gewährt Googles „Checkout“-Bezahlsystem. Angeblich will der Suchriese bloß zehn Prozent als Gebühr verlangen – eine Kampfansage an Apple, die für Abos auf ihrem iPad bzw. iPhone-Applications tränentreibende 30 Prozent einstreichen.
Auch Sir Martin Sorrell ist auf den Zug aufgesprungen. Auf der eingangs erwähnten Messe in Barcelona meinte der WPP-Chef, mobile Werbung via Smartphones und Tablet Computer werde bald voll etabliert sein: „Wir sind sicher an der Schwelle zu dieser Trendwende. Apps erlauben Marken, mit den Verbrauchern zu Hause, auf dem Weg zum Geschäft, vor den Regalen oder an den Kassen Kontakt aufzunehmen.“ Eine Vision, die manche gruselig finden könnten.
Aus der wilden Entwicklung lassen sich drei Dinge schlussfolgern: (1) Das Internet ist der größte Marktplatz aller Zeiten; (2) die Medienwirtschaft hat eingesehen, dass sie Online-Usern Gebühren abknöpfen muss; (3) die Werbung folgt willig dem Handy-Boom. Angesichts der wachsenden Zahl von Printprodukten, die ins Defizitäre rutschen, kann man nur mutmaßen: Am mobilen Wesen soll die Medienwelt genesen …
Walter Braun