Repräsentative Feigheit
 

Repräsentative Feigheit

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Jenseits des HORIZONT

Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man heute keinen Arbeitskreis, sondern führt eine Mitgliederurabstimmung durch. Die SPD hat es vorgezeigt, die SPÖ will – im Gegensatz zum Entscheid des Bundeskanzlers und Parteiobmanns – nun die „Parteibasis“ befragen, ob und wie man eine große Koalition verhandeln solle.

Das ist ein Widerspruch per se. Wozu gibt es die Wahl? Bei den Wahlen zum Nationalrat geht es ja nicht – obwohl die Werbung und die Boulevardmedien das insinuierten – um den Bundeskanzler, sondern um die Wahl der Abgeordneten respektive der Parteien. Wahlen sind Ausdruck der repräsentativen Demokratie. Wähler übertragen ihrem Kandidaten, ihrer Partei das Mandat, für sie zu handeln. Die aber trauen sich nicht. Weil sie nicht wissen, wie und was, weil sie in Machtansprüche verwickelt sind, verunsichert, visionslos, weil sie vielleicht gar nicht Politik machen sollen. Also wird rückdelegiert. An die Basis. Und man tut auch noch so, als sei das demokratisch – basisdemokratisch.

Es ist das Gegenteil: Nichtwahrnehmen von Verantwortung. Nichtwahrnehmen des Mandates. Eine Verhöhnung des Prinzips der Demokratie, der freien Wahlen, des Glaubens an mündige Staatsbürger. So verliert die herrschende politische Klasse den letzten Rest Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Wer ein Mandat hat, muss handeln. Und nicht rückdelegieren. Wer den Auftrag bekommt, Politik zu gestalten, kann sich nicht nach Stimmungs­lagen selbsterfüllender Meinungsbe­fragungen und Überlebenskalküle orientieren. Dann ist er fehl am Platz und soll das Mandat zurücklegen.

Ein Land macht sich lächerlich, eine Partei ebenfalls. Das Gerede über Schnittmengen bei Sondierungsgesprächen erinnert an Kochsendungen. Die lauthals angekündigten Vorhaben, dass nun alles anders sein müsse und werde und dass man die großen Reformen angehen werde, diesmal ernsthaft, sind schon derart sinnentleert, als ob sie aus Sprechautomaten kämen, bei denen lediglich die Tonalität und Frequenz verändert würde. Politik, die sich permanent rückversichert, ist das Gegenteil dessen, wofür sie da ist: verändern, gestalten, ausprobieren, Rahmen setzen und im Übrigen dafür sorgen, dass Menschen an eine Zukunft glauben können.

Wir erleben ein erbärmliches taktisches Schauspiel: zwei Mittelparteien, die gerade noch die absolute Mandatsmehrheit haben, eine ehemals forsche Umweltpartei, die zum Gouvernantenhaften und Ordnungspolitischen neigt, verbieten und gleichzeitig Transparenz einfordern will, sich manchmal wie eine Detektei benimmt, eine populistische Sammelpartei, die wie ein Staubsauger die Unzufriedenen, Gestrigen und hoffnungsarmen Jungen bündelt, eine Partei der gekauften Mandatare, deren Einkäufer bald resignieren wird und ein Häuflein sogenannter freier Mandatare im Existenzkampf zueinander zurücklässt, und eine Gruppierung Neoliberaler, eigentlich Libertinarer, die zumindest vernünftig nach Teilhabe und Macht ruft.

Dazu kommen Medien, die selbst Politik machen wollen und sich mit Politik verheiraten. Und die Wähler, die von herrschenden politischen Parteien nichts mehr wissen wollen. Das sind knapp 30 Prozent. Von diesem Prozentsatz würden alle derzeit im Parlament vertretenen Parteien träumen.
Also: Rückdelegieren. Aber bitte dann auch das eigene Mandat.

[Jenseits des HORIZONT]



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