Nicht mehr zeitgemäß
 

Nicht mehr zeitgemäß

Editorial von Sebastian Loudon

Dem Journalistenrabatt geht es an den Kragen. Nach dem Vorbild der Air Berlin stellen auch die ÖBB Vorteilskarten für Journalisten ein, es sind übrigens mehr als 7.500 solcher Karten im Umlauf. Woher kommen solche Rabatte eigentlich, wie entstanden diese Privilegien von Journalisten? Welchen Zweck haben sie? Fragen wie diese tauchen da plötzlich im Bekanntenkreis auf. Gerne und meist reflexartig kommt das Argument der beruflichen Notwendigkeit gewisser Leistungen oder Produkte. Aber erstens, sollte dann – etwa im Fall von Reisekosten – nicht eben der Arbeit- oder Auftraggeber dafür aufkommen? Und zweitens, mit welchem Recht und welcher Berechtigung zahlt ein Journalist weniger für eine Flugreise, einen Neuwagen, einen Computer oder einen Telefontarif? Weder verdienen Journalisten unterdurchschnittlich, noch zahlen sie mehr Steuern als der Normalbürger. Im Gegenteil: Der Journalisten-Kollektivvertrag ist ein Privileg per se. Wenn wir uns ganz ehrlich sind, kann das Ziel solcher Rabatte doch nur sein, sich bei einer kleinen, aber sehr öffentlichkeitswirksamen Berufsgruppe – auf gut Wienerisch – einzuweimperln. Nun darf etwa im Fall der ÖBB davon ausgegangen werden, dass der Inhaber einer Pressevorteilskarte sich wohl kaum davon abschrecken lässt, negativ über die Bahn zu berichten. Die Realität zeigt nämlich, dass kaum ein Unternehmen so gerne medial abgewatscht wird wie die Bahn. Dennoch ist klar: Journalisten sind für Unternehmen wichtige Stake- holder, zudem sind sie klar eingrenzbar und in überschaubarer Anzahl. Es ist also einfach und vergleichsweise günstig, sie in den VIP-Kreis eines Unternehmens einzuschließen – und wie sagt man so schön: Nutzt’s nix, schad’s nix.

Aber die Zeiten und die öffentliche Wahrnehmung ändern sich – und ab sofort schadet es sehr wohl. Und zwar sowohl dem Unternehmen, das Journalisten Rabatte gewährt, als auch den Journalisten, die solche annehmen. Presserabatte anzubieten bekommt sehr schnell den Hautgout, die Pressevertreter sanft zu korrumpieren. Sie anzunehmen diskreditiert die eigene Unabhängigkeit, die Medien so vehement für sich in Anspruch nehmen. Dabei gehörte das Ausfüllen entsprechender Antragsformulare oder das sanfte Anfragen in der Presseabteilung eines Unternehmens, ob es für diese oder jene Leistung nicht einen Rabatt gebe, bis jetzt ganz selbstverständlich zum Alltag vieler Journalisten. Damit geht es jetzt zu Ende. Wie selbstverständlich Journalistenrabatte selbst für des Privilegienrittertums höchst unverdächtige Berufsangehörige sind beziehungsweise waren, bekennt Falter-Chefredakteur Armin Thurnher in der aktuellen Ausgabe. Er zitiert aus einem Brief von ÖBB-Chef Christian Kern, in dem dieser die Gründe für die Einstellung der Journalistenrabatte darlegt. Thurnher schließt bemerkenswert mit: „Kern hofft auf unser Verständnis. Nicht nur das. Er beschämt uns, vor allem die kritischen unter uns. Da hätten wir selber draufkommen können.“

Lieb gewonnene Annehmlichkeiten aufzugeben, geht nie ohne Schmerzen vonstatten. Genauso schwer ist es, Zuwendungen, deren Berechtigung und Zweckmäßigkeit in Zeiten eines sich neu entfaltenden moralischen Bewusstseins nicht mehr nachvollziehbar sind, plötzlich einzustellen, ohne die bisherigen Empfänger dieser Zuwendungen vor den Kopf zu stoßen. Air Berlin hat hierfür eine be- stechend einfache und vor allem ehrliche Formulierung gefunden: „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass unsere Journalistenkonditionen nicht mehr zeitgemäß sind.“ Es ist dies im Übrigen eine ausgezeichnete argumentative Schablone für so vieles in Politik, Medien und Wirtschaft, was sich in den kommenden Jahren ändern wird – müssen.



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