Nicht genügend. Gehen.
 

Nicht genügend. Gehen.

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Jenseits des HORIZONT

Österreichs Schulen müssen sparen. Die Schulklassen werden wieder ­größer, Förderstunden gestrichen, Team-Coaching reduziert. Aus PISA ist man mit fadenscheinigen Erklä­rungen ohnehin ausgestiegen. Wozu messen? Der jüngste Test, in dem es um die Fähigkeit zum übergreifenden, ­abstrahierenden Denken ging, sieht Österreich im unteren Mittelfeld der OECD-Staaten.
Nun wird nochmals reduziert. Der Staat muss sparen, das Defizit muss ­abgebaut werden.

Gleichzeitig baut man ein Defizit für die Zukunft auf: ein Bildungsdefizit. Die Unterrichtsministerin zählt sachlich emotionslos wie eine Rationali­sierungsmanagerin auf, wo überall ­gespart werden muss. So, als ob es sie nichts anginge. Sie spricht von „Teilern“ und meint damit, dass große Klassen in den Neuen Mittelschulen nicht mehr in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Sie sollte wissen, dass Klassengröße und Lernerfolg unmittelbar ­zusammenhängen.
Fast hat man den Eindruck, die Ministerin freue sich, dass die Lehrer nun weniger Überstunden machen dürfen. Auch dort muss gespart werden. Kein Team-Coaching, weniger Förderunterricht, weniger Kleingruppen. Rückfall in den Frontalunterricht.

Wenige Tage zuvor hat die Wiener SPÖ als „Leuchtturmprojekt“ verkündet, man werde den Wiener Pflichtschülern Gratisnachhilfeunterricht zugute kommen lassen. Das ist ­zynisch – arrogantes Verbrämen des eigenen Versagens. Ein Danaer­geschenk. So verspielt ein Land Glaubwürdigkeit und Zukunft. Schule und Bildungspolitik führen sich ad absurdum.

Politik erschöpft sich im Sparmanagement und populistischen Gnadengaben. Auch die Armen sollen sich Nachhilfeunterricht leisten können.
Wie man Nachhilfe überflüssig machen kann, indem man Bildungsstrukturen verändert, Schulen mehr Autonomie zugesteht, mehr Lehrer einstellt und sie besser bezahlt, das Unterrichtsumfeld verbessert, sodass Lehrern menschenwürdige Arbeitsplätze zur Verfügung stehen anstatt Spinde wie beim Militär, darüber wird nicht nachgedacht.
Kein Geld? Keine Fantasie. Kein Wille.
Kein Wunder, dass Österreichs Schüler beim sinnerfassenden Lesen signifikant schwach sind. Dass immer mehr Jugendliche ohne Schulabschluss in das Leben und zumeist in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Dass der sekundäre Analphabetismus gefährlich rasch ansteigt, dass die Lesefrequenz sinkt.
Wenn dann noch Medien sich beklagen, dass zu wenig gelesen werde, sollten sie nach den Ursachen fragen. Und dort kampagnisieren, wo sie selbst ihre Zukunft besser absichern könnten: ­Gegen eine Bildungspolitik, die zu schlecht ist, um sich selbst abzuschaffen. Gegen eine Sparpolitik, die zwar von der Wissensgesellschaft redet, aber diese kontinuierlich negiert: weniger Geld für Schulen, keine adäquate Ausbildung für Pädagogen, Kürzungen in der Grundlagenforschung, Aushungern der Universitäten, Aufblähen der Verwaltung.

Nicht genügend. Nicht sitzenbleiben. Gehen ist angesagt. Möglichst rasch.

[Jenseits des HORIZONT]
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