Neue Medien Eintagsfliegen
 

Neue Medien Eintagsfliegen

Kolumne von Walter Braun

Als eBay-Gründer Pierre Omidyar bekannt gab, unter dem Dach „First Look“ einen neuen Journalismus befördern zu wollen, ging es mir wie einstens Bundeskanzler Vranitzky mit dem Thema Visionen. Manchmal ist es einfacher, die Brille zu wechseln, falls ­einem die Wirklichkeit nicht passt.

Omidyar träumt davon, Berichterstatter und Sozialaktivisten zu paaren. Klingt nach einer Missgeburt. Journalisten fühlen sich der Objektivität verpflichtet. Auch wenn oft Meinungen einfließen, versuchen Nachrichten im Grunde abzubilden, was passiert. So­zialaktivisten haben ein anderes An­liegen: Sie glauben zu wissen, was passieren sollte. Sie haben eine Vision und den Wunsch, sie anderen aufs Aug’ zu drücken.

US-Journalist Jeff Jarvis arbeitet gerade daran, an der City University of New York die Studienrichtung „Sozialjournalismus“ zu etablieren. Nachrichten sind seiner Meinung nach kein Endprodukt; Endziel sollte sein, der Gemeinschaft zu dienen. Klingt wie Mahatma Gandhi auferstanden. Jarvis sieht Journalisten als „Community Organizer“, als Gemeindesekretäre? Aufdeckungsjournalismus sollte die Leser dazu bringen, Regierungen unter Druck zu setzen, damit sich etwas ändert. Marx pur. Doch Missstände gehen letztlich auf den menschlichen Charakter zurück, nicht auf „Strukturen“. Der Mensch als bloße Bio-Maschine und der Sozialaktivist als Ingenieur, der korrigierend an dieser Maschine herumfummelt, ist keine Weltanschauung, die ich befördern möchte.

Journalisten sind von Neugierde getrieben, sie möchten Dinge in Erfahrung bringen und danach den Wissensschatz mit der Öffentlichkeit teilen. Sozialaktivisten dagegen sind Besserwisser, die andere drangsalieren wollen.
Natürlich haben Medien Zielgruppen, deren Bedürfnisse sie mit einschlägiger Berichterstattung zu befriedigen versuchen. Aber muss das so weit gehen, dass man eine „Partnerschaft“ zwischen Schreiber und Leser ausruft? Nick Denton, Gründer von Gawker Media, glaubt fest daran und lädt auf seiner Diskussionsplattform Kinja die Leser ein, Headlines umzuschreiben. Alan Rusbridger wiederum, Chefredakteur der reichlich links liegenden Tageszeitung The Guardian, wünscht sich Medien als Coop-Bewegung. Ähnlich wie beim Fußballklub Barcelona möchte er die Leser als Teilhaber gewinnen. Wie soll das funktionieren: Dass die Mitglieder anrufen und Geschichten bestellen? In der Praxis führt das eher zu lächerlichen Pseudoaktionen – Leser einmal im Jahr in die Redaktion einladen oder sie mitentscheiden lassen bei unwichtigen Designfragen.

Journalisten sind weder Advokaten noch Aufklärer – anmaßende Funk­tionen, die sich mit einer distanzierten Beobachtung der Welt schlecht vertragen. Gelegentlich kann man ein Anliegen aufgreifen und weitertragen – aber das zur Grundlage und Rechtfertigung des Mediengeschäftes zu erklären, halte ich für überzogen. Was meinen die HORIZONT-Leser?

[Walter Braun]
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