Neue intellektuelle Rechte? Oder heimatlose L...
 

Neue intellektuelle Rechte? Oder heimatlose Linke?

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Jenseits des HORIZONT

Die Linke ist müde und erschöpft wie die Sozialdemokratie und das ehemals linke Lager. Ihr Denkreservoir ist ausgedünnt. Es gibt sie noch, die Alten, immer noch Gleichen, die in den Medien schreiben, zitiert werden. Sie sind resigniert. Zu recht.

Ihre potenziellen Nachfolger wurden von kaderhaft organisierten, versteinerten, sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien vertrieben – nicht mehr mit Gewalt, sondern mit Ignoranz und Bildungsfeindlichkeit – und fanden nirgendwo Heimat. Auch bei den Grünen nicht.
Heimatlos sind sie geworden.Die Hegemonie verlieren sie. In Frankreich, wo immer schon eine rechte, intellektuelle Elite debattierte, formieren sich Menschen rund um den Front Populaire. Von Michel Houellebecq bis Michel Onfray. Die Marianne ist zu einem ideologischen Diskursmedium geworden. Die Franzosen verteidigen die schwarzen Hefte ihres Idols Martin Heidegger, diskutieren über Migration und Gewalt, die alten adaptionswilligen Bernard-Henri Lévy und André Glucksmann befetzen einander lusthaft, lediglich die nach rechts gedriftete, farblose Sozialdemokratie hat niemanden aus der Elite, der ein Wort für sie ergreift. Man rieb sich früher lieber an Sarkozy, der zumindest eine Vision hatte, als jetzt am faden und bisweilen kriegstollen Hollande.

Die Rechte findet in Frankreich auch Gehör. Sie stellte den Moralismus rund um Charlie Hebdo in Frage, ringt um eine Neudefinition, erinnert an Giraudoux, führt eine neue Debatte über Sartre und den faschistoiden ­Céline, diskutiert Cioran. Die Rechte erobert sich die Hegemonie des Diskurses, nicht nur in Frankreich. Es ist nicht mehr illegitim und rückwärtsdenkend, sich seriös mit rechten Strömungen zu befassen, ohne sie zu verteufeln.
Die Linke hat die Sprache verloren, ihre Heroen von Habermas bis Judt und Hobsbawm sind alt oder gestorben, Grass und Enzensberger waren es nie. Und Žižek gefällt sich im psychoanalytischen Hegelianismus.

Die neue Gilde der Historiker – siehe Timothy Snyder – ist erstaunlich abwägend, scheut sich nicht, Tabus anzusprechen, weil sie gegen die ­Gesinnungsmoral verstießen. Ansonsten hat Philosophie, haben kritische ­Soziologie und Psychoanalyse an ­Stellenwert verloren. MINT siegte auf allen Linien. Die verbleibende Linke, besser die kleinbürgerliche Sozialdemokratie, ist lehrerhaft geworden wie Konrad Paul Liessmann, den ein Denker wie Adorno wohl als „Oberstudienrat für Gedankenlehre in die Volkshochschule“ verbannt hätte.

Es ist bezeichnend: Mit dem Niedergang der Linken, dem Aufstieg des medial befeuerten Populismus, der Welt- und Deutungshoheit der Naturwissenschaften, die keinen Dialog zu den Geisteswissenschaften mehr suchen, ist ein rechter, durchaus intellektueller, elitärer Intellektualismus entstanden. Als Neo-Romantik des so Sein. Das kann man kritisieren – spannend ist es allemal.
Zu bedauern ist lediglich, dass es kaum noch Medien gibt, welche dies debattieren. Sie berufen sich lieber auf allgedientes, bewährtes Lagerdenken. Das ist fad.

[Jenseits des HORIZONT]  



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