Jenseits des HORIZONT
Ich bin ein Verfechter des Amtsgeheimnisses. Mich stört der sogenannte schrankenlose Wettbewerb, der ausschließlich auf scheinökonomischen Parametern beruht, die formal und quantifizierend sind.
Mich stört der Anspruch jener, die verlangen, man müsse alles offenlegen und nichts dürfe verborgen bleiben. Mich stört der Alles-wissen-wollen-Anspruch.
Ohne Geheimnis keine Fantasie, keine Individualität. Worüber man alles weiß, darüber gibt es nichts mehr zu sagen. Was zwischen Individuen sich ereignet, geht niemanden etwas an. Das ist bürgerliches Recht. Und, wenn man so will, Geheimnis der wesentlichen Demokratien des Humanismus, des Rechtsstaates.
Auch der Staat – also wir alle – darf und muss Geheimnisse haben. Ohne Geheimnis gibt es keine Verhandlungsmasse, keine Möglichkeit, den jeweils anderen auszuloten. Ohne Geheimnis gibt es keine Lösungen.
Geheimes zu achten, heißt Vertrauen achten und haben. Und im Gegenteil: Misstrauen zu entwickeln. Wir mögen es kritischen Geist nennen.
All dies gilt nicht mehr, wenn Geheimes abgeschafft ist. Wenn alles transparent fetischisiert wird, Fiktionen abgewürgt sind.
Ich bin Verfechter des Redaktionsgeheimnisses. Ohne Redaktionsgeheimnis gibt es keine Freiheit des kritischen Journalismus.
Was ich nicht schätze, ist das Gegeneinander-Ausspielen von Amtsgeheimnis und Redaktionsgeheimnis. Damit endet Vertrauen. Statt Misstrauen herrscht das Diktat des Nichtvertrauens.
Die, die Offenlegung verlangen, verstecken sich hinter dem Recht des Geheimnisses. Das ist weder gerecht noch einsichtig.
Ich bin Verfechter des Verschweigens. Wer alles sagt, will alles beherrschen. Mit dem Usurpieren von Wahrheit wurden Kriege angezettelt und Menschen vernichtet.
Wenn Aufklärung lediglich sich selbst dient, hat sie ihren Anspruch verraten. Das erleben wir täglich in den Medien, in sozialen Netzwerken. Im sorglosen und medial aufgeheizten Umgang mit dem, was altmodisch Geheimnisse sind.
Ich bin für Bevorzugung, für Bildung des Herzens.
Wer die Wissensgesellschaft als Begründung für die Auslöschung des Geheimnisses zitiert, vergisst, dass Wissensgesellschaft nichts mit Bildung zu tun hat. Wissen nichts mit Erkenntnis. Und schon gar nichts mit Humanismus.
Wissensgesellschaft heute ist nicht Erkenntnisgesellschaft, sondern Ertragsmaximierung durch Wissensvorsprung. Totales Wissen ist Polizeistaat ohne Polizei. Wissen genügt, um Schrecken einzujagen.
Das ist nicht Aufklärung.
[Jenseits des HORIZONT]