Kommentar von Doris Raßhofer
„Der Mythos der Kaderschmiede“ ist da am 16.8. auf Zeit Online zu lesen. Am Ende des Textes steht klein in Klammern: (Erschienen im Handelsblatt). Ein Klick zum Re-Check – ja, stimmt, exakt derselbe Artikel wurde auf handelsblatt.de am 26.7. veröffentlicht. „Handy statt Kleingeld“ war ebenfalls am 16.8. auf Zeit Online zu lesen. Am Ende des Textes steht: (Erschienen im Tagesspiegel). Der Re-Check: Stimmt, 1:1 dort einen Tag zuvor veröffentlicht. Mit Teilen einer anderen Online-Geschichte aus dem Handelsblatt.
Die Liste könnte man nun mit 150 anderen Artikeln so weiterführen, die Mehrfachnutzung ist kein Einzelfall. Und sie verwundert erst einmal auch überhaupt nicht, entstammen Zeit, Handelsblatt und Tagesspiegel doch allesamt der Holtzbrinck-Gruppe. Auch Gruner + Jahr hat seine Wirtschaftstitel Financial Times Deutschland, Capital, Impulse und Börse Online unter eine einheitliche Chefredaktion zusammengefasst. Und die WAZ-Gruppe bestückt ihre Regionalzeitungen mit einem einheitlichen „Mantelprogramm“. Der Gedanke dahinter: effizienztechnisch durchaus bestechend. Es laufen nicht fünf Redakteure zur selben Pressekonferenz und schreiben fünf Mal das Gleiche, sondern es geht nur einer hin und schreibt fünf Adaptionen – mit entsprechendem Lokalkolorit für die jeweilige Publikation. Soweit die Theorie. Die Praxis dürfte anders aussehen.
Zwar sicherlich zugunsten der Bilanzen, aber zuungunsten der Redakteure, der Leser und auch der Marke. Denn die Rechnung kann so wie vorgerechnet nicht aufgehen. Weil eine Quelle, fünf Mal mit fünf unterschiedlichen Zugängen adaptiert, nunmal fast genauso lange dauert wie ein und dieselbe Geschichte von fünf Personen geschrieben. Wo also soll die Ersparnis sein, es sei denn, der Redakteur muss dieselbe Anzahl an Originärthemen liefern, plus je fünf Adaptionen – in der fünffachen Zeit zum selben Geld versteht sich.
Macht man es so wie bei Holzbrinck und bringt eine Geschichte eins zu eins auf den diversen Plattformen, ist die Einsparung perfekt. Allerdings zulasten der Medienmarken, wenn überall das Gleiche steht. Das Differenzierungs- und Identifikationspotenzial mit „seinem Medium“ wird für den Leser damit extrem durchlässig – vorausgesetzt, er merkt es. Es gilt also das elfte Gebot für Verleger: Du sollst dich nicht erwischen lassen.