Editorial von Sebastian Loudon
Als Fachzeitschriftenredakteur ist man der Spontanität verpflichtet. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Mittwoch: Gegen 9.30 meldet sich die ORF-Pressestelle mit der feierlich vorgetragenen Einladung zu einem Pressehintergrundgespräch mit ORF-General Alexander Wrabetz und dem Finanzchef Richard Grasl. Auf die naive Frage, wann dieses denn stattfände, kommt die Antwort: heute, um 11 Uhr.
Also hinauf auf den Küniglberg, dort, wo der Nebel des Grauens dieser Tage besonders dicht hängt. Das Thema für dieses Treffen, das ob Nebel und Kurzfristigkeit einen leicht konspirativen Charakter hat: die „teilweise Valorisierung der ORF-Teilnehmerentgelte“, wie es Alexander Wrabetz formuliert. Der ORF stellt also den Antrag auf eine siebenprozentige Erhöhung seiner Gebühreneinnahmen, wirksam mit 1. Juni 2012. Dass dieser Antrag von den Gremien – Stiftungsrat, Publikumsrat und schließlich Medienbehörde – genehmigt wird, daran zweifelt Wrabetz keine Sekunde. Und er spricht es offen aus. Auf die Frage, was er im Falle einer Ablehnung zu tun gedenke, meinte er schlicht: „Der Antrag wird angenommen werden.“ Diese Aussage ist ungewöhnlich kühn für Wrabetz und offenbart, dass die Erhöhung mit der SPÖ und der ÖVP längst fix paktiert war. Dafür spricht auch die Wortwahl von ÖVP-Mediensprecher Karl Heinz Kopf wenige Tage zuvor, der einer „maßvollen Erhöhung“ nicht grundsätzlich abgeneigt sei.
Auch wenn es naiv klingen mag, so muss es an dieser Stelle gesagt werden: Hallo! Die Stiftungsräte des ORF sind laut § 19 Absatz 2 des ORF-Gesetzes weisungsfrei! Wie funktioniert das, wenn die ORF-Geschäftsführung mit der Politik eine Maßnahme aushandelt und vorher schon weiß, dass der Stiftungsrat dem entsprechenden Antrag zustimmen wird? Abseits dieser winzig kleinen Corporate-Governance-Lappalie überraschte Wrabetz mit der Ankündigung, künftig keine Forderungen nach einer Ausweitung der Werbemöglichkeiten zu stellen.
Erst Ende September forderte der ORF-Chefvermarkter Franz Prenner neue Werbeminuten, um das geplante Frühstücksfernsehen refinanzieren zu können – sehr zum lautstarken Ärger der Privatsender. Die Folge war ein Krieg der Worte zwischen ORF und Privatsendern, wie ihn die Beobachter bislang noch nicht erleben mussten. Nun tritt Wrabetz den geordneten Rückzug an, schwenkt die weiße Fahne und verzichtet auf weitere Werbemöglichkeiten – letztlich auch „aus Rücksicht auf andere Branchenteilnehmer“. Das hörten wir wohl noch nie aus dem sechsten Stock des Küniglbergs. Auf Nachfrage,wie es zu dem plötzlichen Sinneswandel kam, meinte Wrabetz: „Weil ich glaube, dass das klug ist.“Kein Zweifel, es ist sogar sehr klug, aber ist es auch die ganze Wahrheit? Wohl eher kaum. Die ganze Wahrheit wäre vielleicht gewesen, zu sagen: „Der plötzliche Sinneswandel kam so zustande, dass die ÖVP als eine (von mehreren?) Bedingungen für ihre Zustimmung zu unserer maßvollen Gebührenerhöhung verlangt hat, dass wir gefälligst endlich eine Ruhe geben sollen mit dem Wunsch nach einer Werbezeitenausweitung.“ Aber ganz ehrlich: Wer will denn schon die ganze Wahrheit wissen, in diesem dichten Nebel.