Kopieren rächt sich
 

Kopieren rächt sich

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Jenseits des HORIZONT

Die App „Quizduell“ verzeichnet im Web sensationelle Download- und Abrufraten. Millionen messen ihr Allgemeinwissen mit virtuellen Gegnern. Bildungsbürgertum en masse, sollte man glauben. Mit Lust an Aktivität.
Der Versuch, dieses Quiz ins TV zu übernehmen, scheiterte: nicht nur an technischen Unzulänglichkeiten – das ARD-Studio war sichtlich überfordert –, sondern an der Struktur des Mediums. TV ist nicht Web. Und Kommunikation nicht Interaktion. Vis-à-vis nicht altera pars. TV-Junkie, nicht IT-Aktivist.
Wer scheinbare Erfolgsrezepte von einem Medium ins andere übernimmt, scheitert oft. Das wissen viele, die Print einfach online kopierten. Gelassenheit ist nicht Web.

Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang ein Satz von Time-Warner-Chef Jeff Bewkes in einem Interview, das er gemeinsam mit Gerhard Zeiler dem Spiegel gegeben hat: „TV ist dabei, das Internet zu übernehmen.“
Die These hat Charme. Sie ist belegbar. Bewkes spricht von fiktionalem Content. Von der Wiedererfindung des Fernsehens durch sich selbst. Und ­davon, dass es um Inhalte geht, nicht um Channels.

Kreative Storys und Formate sind das Entscheidende. Große Narrationen, neue Mischformen zwischen Fiktion und Reality, Fantasie und Krimi.
So hat Gabriel Márquez den Roman wieder erfunden, den Joyce zerstört hat. Und mit „Hundert Jahre Einsamkeit“ Weltliteratur geschrieben und den magischen Realismus erfunden. Und so schreiben neue TV-Inhalte TV-Geschichte neu. Sie sind magischer Realismus. Anders als Virtuelles.
Kein Wunder, dass Fernsehen boomt. Dass neue TV-Kultur und Erzählkultur gerade aus Ländern in Europa kommen, die man in der TV-Produktion vorher kaum kannte, mag verwundern. Skandinavien mit neuen Krimis, die Dänen mit neuen Polit-Fictions, oder die Türkei mit pseudo-kitschigen Träumereien. Das zieht neue Massen an.

TV befeuert das Web – Streaming-Kulte, Trash-Portale, Twitter- und ­Facebook-Communitys, die sich über Stars und Starlets entäußern.
Oder Fußball im TV: Die strukturellen Veränderungen des Spiels – neuer Kollektivismus und Kombinationslust – haben neue Drehbücher geschrieben. Fußball ist die Massen-Reality-Show schlechthin. Mit enormem Spannungspotenzial. Der Betrachter weiß nicht, was ihn erwartet. Flop, Top, Langeweile der Tragödie oder Spannung der Komik.

Bewkes hat recht. Es geht ausschließlich um den Content. Jenseits von Algorithmen und des Kalküls der berechenbaren Erwartungen, die letztendlich nichts anderes als Self-Services und Self-fulfilling Prophecies sind.
Darüber einen Diskurs zu führen, wäre fruchtbar. Quer über alle Medien. Der Content als Waffe gegen monopolistische Ursupationen. Da geht es um Fantasie – und nicht um Größe und formale Macht. Macht im Kopf. Hundert Jahre Einsamkeit.

[Jenseits des HORIZONT]
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