Die Privaten und die Barbarei
Der Verband Österreichischer Privatsender (VÖP) jubelt. Die Medienbehörde hat aufgrund einer Beschwerde der privaten Rundfunkbetreiber beschieden, dass der ORF zu wenig Kultur, Information und Sportberichterstattung zeige und damit dem Gesetzesauftrag nicht angemessen nachkomme. In simplen Sätzen: Der ORF ist kein Kultur- und Informationssender. Die Privaten jubeln. Und hoffen offensichtlich darauf, dass der ORF in Zukunft weniger stark auf Quoten schiele und vielleicht noch stärker an Marktanteilen verliere.
Man kann dem ORF viel vorwerfen: vorauseilende Gehorsamkeit gegenüber der Politik, zu viele Wiederholungen, missglückte Eigenproduktionen, langweilige Infoshows und Talks, zuviel „Musikantenstadl“ und Co. Man darf es. Ja. Wenn man selbst Anspruch auf Qualität nach außen trägt und im Programm verwirklicht. Davon ist bei den privaten TV- und Radioanbietern, sieht man von ServusTV einmal ab, nichts zu hören und zu sehen. Sie agieren clever, ohne Zweifel. Sie haben ihre Marktanteile und Werbeerlöse gesteigert, sind mit manchen Formaten mutiger als der ORF, schneller. Aber sie sind meilenweit davon entfernt, auch nur ansatzweise jene inhaltliche Qualität zu liefern wie der ORF. „Bauer sucht Frau“ oder noch so aufregende Live-Reportagen, Soap Operas und Modell-Contests, Talk- und Society-Formate sind keine Ansage, sondern wohl eher gut importierte und adaptierte Kopien. Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Privaten müssen schauen, wie sie zu Geld, Werbeerlösen und Reichweiten kommen. Der ORF kann auf ORF III verweisen – großartig, wie vor wenigen Tagen die Lange Nacht der Museen –, auf Ö1, nach wie vor unerreicht, auf das „Frühjournal“, auf investigative Reports und letztendlich darauf, dass man sich bemüht, trotz unfassbar niedrigen Politikniveaus in Österreich und kaum vorhandener demokratischer Streitkultur ein anständiges, auf Information und Aufklärung bedachtes Programm zu bieten, das ungleich anspruchsvoller ist als die politische Kultur und der Habitus der politischen Vertreter in diesem Land. Der ORF ist ein guter Sender. Mit allen Verbesserungsmöglichkeiten. Hätte Österreich mehrere Medien in dieser Qualität, würde der politische Diskurs anders verlaufen.
Man kann dem ORF vorwerfen, dass er ORF eins und ORF 2 nicht als Vollprogramm gestaltet. Wer das tut, versteht nichts von Fernsehen. Und sollte sich ernsthaft überlegen, das ORF-Gesetz zu adaptieren statt abzumahnen. Letztendlich ist der ORF das einzige kontinuierliche Qualitätsmedium, das wir in der geistig verarmten, verkrusteten Medienlandschaft haben. Behäbig manchmal, betulich und dann wieder unerträglich schrill, aber selbstbewusst in seinem Selbstverständnis und im Engagement der meisten Redakteure, beseelt vom Impetus der Aufklärung, des demokratischen Widerstands, manchmal auch von innovativem Denken. Vom Provinzialismus österreichischer Politik ist der ORF meilenweit entfernt. Das sollte auch die Medienbehörde zur Kenntnis nehmen. Die Privaten mögen darüber nachdenken, ob sie ihre Performance nicht gerade einem ORF verdanken, der nicht ausschließlich auf Mainstream setzt. Und ihnen Freiräume bietet, die sie zu wenig nutzen. Weil sie Qualität gar nicht wollen. Und schon gar nicht Intellekt. Ein paar internationale Fußballspiele, dann und wann eine Opernübertragung oder eine Politshow, eine Hintergrundreportage, die gefährlich an Voyeurismus grenzt: Das ist zu wenig, um dem ORF Paroli zu bieten.
Die Medienbehörde möge sich überlegen, ob sie in ihrem Sekundenzählfetischismus einem zeitgemäßen Verständnis von Kultur und Information gerecht wird. Wenn jemand in diesem Land einen verengenden Kultur- und Informationsbegriff hat, sind es Behörden und Politik. Und nicht der ORF. Sein Ansehen ist immer noch höher als das Ansehen unseres Staates im internationalen Kontext. Der ORF ist ein europäischer Sender. Das kann man von den politischen Vertretern dieses Landes nicht uneingeschränkt sagen. Der ORF stemmt sich gegen Mittelmaß. Das wünschen wir auch denjenigen, die ihn permanent abstrafen.
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Jenseits des HORIZONT]