Die Facebook-Inversion
Der österreichische Kanzler und der Vizekanzler sind brave Menschen. Durchschnitt. Der Bundeskanzler hat Ikea-Möbel im Arbeitszimmer, die Dienstreisen bewältigt er mit einem Mercedes-Kastenwagen, einem fahrbaren Kameralbüro gewissermaßen, selbst die Kunstwerke in seinen Arbeitsräumen sind Durchschnitt der gemäßigten Moderne. Nicht überragend, aber immerhin. Die Körpergröße des Kanzlers ist nicht überragend, die Anzüge durchschnittlich zu groß und die Krawatten durchaus bieder – die schwarze Strickvariante auf den erfolgreichen Wahlplakaten dazumal war ja eine Leihgabe der Werbeagentur. Und zählt deshalb nicht zum Durchschnittsoutfit.
Überdurchschnittlich sind die Tonalität der Sprache und der unerschütterliche, und damit wieder biedere, Zug zur Macht. Und das Beharren auf Macht. Das macht einen Politiker aus, der bei Wahlen nicht weniger erfolgreich ist als die Konkurrenten. Überdurchschnittlich fleißig ist zudem der Medienstaatssekretär und überdurchschnittlich Netzarbeits-aktiv das Beraterumfeld. Soweit alles durchschnittlich, brav, bieder, klein und bürgerlich. Durchschnittlich ist die Performance der Regierung, durchschnittlich die Phobie von Intellekt und Reflexion, überdurchschnittlich aber die Affinität zu Meinungsumfragen, durchschnittlich brav auch das Verhältnis zum ebenfalls durchschnittlich gesitteten und durchschnittlich gekleideten Vizekanzler.
Und dann wagt der Durchschnitt den großen Sprung in die digitale Welt, der durchschnittliche Bundeskanzler auf Facebook. Friends statt Parteifreunde, auch wenn diese sich als Sock Puppets verdingen sollten, Faces statt Gesichter, denen die Last der Verantwortung eingefurcht scheint. Der Bundeskanzler hat Friends und lässt applaudieren, die Werte der durchschnittlichen Sozialdemokratie verteidigen und vor allem die Gerechtigkeit, die letztendlich auch den Durchschnitt zwischen dem Gewicht auf der linken und der rechten Waagschale der Justizia darstellt. So sind zumindest die meisten Aussagen der Regierenden zu verstehen. Plötzlich also der Sprung in die Moderne.
Raus aus dem grauschwarz melierten Anzug, hinein in die Klamotten der Social-Media-Ästhetik. Digitaler, virtueller Diskurs und Interaktion statt dumpfem Monologismus der Parteisitzungen und Kaderversammlungen. Sozialdemokratie wird modern, nein, sie wird modernistisch und avantgardistisch. Der Grad zwischen dem Erhabenen unddem Lächerlichen ist gering, sagt man. So ganz trittsicher dürfte der Bundeskanzler mit seinem Beraterteam in Sachen Facebook nicht sein. Auch logisch: Wer bislang mit breiten Latschen den Weg sich bahnte, kann schwerlich die Balance des Spitzentanzes wahren. Er stürzt ab. Facebook entlarvt nicht nur die Durchschnittlichkeit der Biedermeierlichkeit, die Facebook-Auftritte widerspiegeln auch den intellektuellen Horizont der Macher und des Auftritts. Hohlheit, im Alltag der Partei- und Festtagreden nicht augen- und auffällig, wird plötzlich in ihrer ganzen Tiefe erschreckend sichtbar. Das wiederum ist nicht durchschnittlich.
Schuster, bleib bei deinem Leisten. Durchschnitt, bleib in der wohlgenährten Mitte. Die Konsequenz: Feilmann statt Faymann. Die Ghostwriter mögen sich wieder auf ihr Kerngeschäft zurückziehen. Die Maschinerie der OTS-Ticker beherrschen sie. Aus dem Effeff. Aber nicht Facebook. Das ist auch Effeff, aber Face-Farce.
Jenseits des HORIZONT