Internet der Überwachung
 

Internet der Überwachung

Kolumne von Walter Braun

Kürzlich präsentierte das amerikanische Time-Magazin den rosigen Traum vom digital aufgemotzten Eigenheim, das uns zu besseren Menschen machen werde. Finanzielle Unterstützung (etwa zur Installierung intelligenter Überwachungsfunktionen in Häusern) kommt vielleicht von der Versicherungswirtschaft; so hat etwa American Family ­Insurance bereits eine Zusammenarbeit mit Microsoft begonnen. Unter dem Vorwand von Gesundheit, Sicherheit und Bequemlichkeit schlittern wir sehenden Auges langsam in die Totalüberwachung. Big Brother kommt nicht in der Form eines Staatsstreiches, sondern als Diktatur ohne Diktator, als zentrale Gängelungsanstalt, die sich nicht länger auf den altmodischen Mechanismus Rechtsstaat verlassen muss. Stattdessen flexible, allgegenwärtige Institutionen, die sofort zur Stelle sind, wenn Not am Mann ist (das positive Versprechen) oder wenn ein Verbrechen geplant sein könnte (da wird’s sinister).Eine obskure Vision? Die Linksliberalen in Silicon Valley stellen sich exakt so eine Zukunft vor: Die Besitzer von Patenten, Kapital, Daten und mächtiger Software bilden eine neue Herrschaftsschicht, der Rest wird zum eigenen Wohl mit Hilfe ausgeklügelter Technik an der Nase gezogen. Und wir werden Ja dazu sagen, weil diese Entwicklung eine schlankere und effizientere Verwaltung verspricht. Die eingesessene Bürokratie wird sich gegen den Verlust ihres Einflusses auflehnen, aber es wird in Zeiten wachsender Budgetnöte eine breite Mehrheit für eine Zurückstutzung des ausufernden Beamtenapparates geben. Interessanterweise fördert linke, progressive Politik diesen Vorstoß viel besser als bedenkliche konservative Politik, die keine Freude an einem allwissenden, allmächtigen Staat hat. Die klassische Linke dachte in Ursachen: Was ist der Grund von Armut, Ungleichheit et cetera? Diese Ursachen lassen sich aber nicht einmal mit dem allergrößten Aufwand ausschalten. Die Silicon-Valley-Linke ist stattdessen umgeschwenkt: Steuern wir bloß die Auswirkungen.Was eine interessante Koexistenz erlaubt – auf der einen Seite ein globaler, unregulierter Kapitalismus, auf der anderen Seite der Überwachungsstaat, der sofort einschreitet, wenn Kameras, Sensoren oder Datenmodelle einen Anlass signalisieren. Ob zu schnell fahrend oder mit dem Übergewicht in den Bereich Fettleibigkeit rutschend: Der Staat weiß es und greift vorbeugend ein. Da es überall digitale Wächter geben wird – am Körper (Smartphone, Armband, Brille), im smarten Auto, im schlauen Heim – kann Software schnell herausfinden, wenn jemand vom vorgegebenen Tugendpfad abweicht. Dieses sparsame System wird von den Financiers des Wohlfahrtstaates, die über den Einsatz ihrer ständig wachsenden Zahlungen nicht bestimmen können, vermutlich befürwortet werden. Könnte sich das Internet der Dinge am Ende als Internet der Überwachung entpuppen? Was denken Sie, werte Leser?



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