Hauptsache, ich bin schneller dort …
 

Hauptsache, ich bin schneller dort …

Kolumne von Walter Braun

Können Sie sich an den alten Qualtinger-Song „Der Halbwilde“ erinnern? Der Kabarettist, beeindruckt von ­einem Film mit Marlon Brando auf dem ­Motorrad, beschließt, sich auch eine Maschin’ anzuschaffen. Was er mit den unsterblichen Worten begründet: Zwar hab ich ka Ahnung, wo ich hinfahr, aber dafür bin i g’schwinder durt!

Das scheint irgendwie zum Leitmotto der Medienwelt geworden zu sein. Online-Nachrichtenquellen verlangen unentwegt nach Neuigkeiten; gleichzeitig werden aufgrund schrumpfender Werbeeinnahmen die Redaktionsstäbe gekürzt. Die unfromme Lösung: Man schustert schnell Meldungen aus der weltweiten Gerüchteküche zusammen. Nichts liegt da näher, als sich bei Tratschplatt­formen umzuhören. Als beim Boston-Marathon zwei Bomben explodierten, machten sich Twitteraner auf, die Schuldigen ausfindig zu machen (und jagten dabei den Falschen!). Eine ­Studie hat die 7,9 Millionen Tweets im Gefolge des Anschlags analysiert und ist zu dem Schluss gekommen, dass knapp 30 Prozent aus Gerüchten und Unsinn bestanden und weitere 50 Prozent bloß Meinungen zum Besten ­gaben; nur 20 Prozent der Botschaften beinhalteten echte Informationen.

Nachrichtenredaktionen, die sich von Twitter Anregungen einholen, sind zwar schneller am Tatort – bloß ist da häufig keine Tat. Wie im Sommer, als die Meldung die Runde machte, junge Japaner würden einander antörnen, ­indem sie Augäpfel leckten. Die üblichen Mahner warnten, dies sei gefährlich und könnte via Infektionen zur Erblindung führen. Die ganze ­Nachricht war eine reine Erfindung.

Manche Psychologen befürchten, die Gerüchteschleuder könnte bei instabileren Naturen üble Folgen haben. Im US-Bundesstaat Massachusetts wiesen im vergangenen Winter über 20 Teenager plötzlich Schnackerl und diverse stimmliche Ticks auf. Ein Jahr zuvor hatten 18 junge Mädchen im Bundesstaat New York einen schlimmen hysterischen Anfall. Sogar eine 36-jährige Krankenschwester meinte, sie hätte sich via Facebook „angesteckt“.
Besonders in Krisenzeiten scheint die Bereitschaft zu steigen, außerordent­liche Meldungen zu glauben. Am 30. Oktober 1938 tat eine dramatisierte Radioausstrahlung des Zukunftsromans „The War of the Worlds“ von H. G. Wells so, als würde live von einer Landung Außer­irdischer berichtet. Viele Hörer hielten das Berichtete für wahr und zum Teil kam es zu Panikreaktionen. Ein ­Spezialist, der historische Fälle von ­Massenhysterie untersucht hat, meint, es sei nur eine Frage der Zeit, bis wir Zeuge einer globalen Episode würden.
Wenn nun soziale und traditionelle Medien einander ein Wettrennen ­liefern, wer schneller die besorgnis­erregendste Geschichte verbreitet, schleichen sich Falschinformationen ein, während die Leser süchtig nach ­einem täglichen Aufreger werden.

Software, die automatisch „Nach­richten“ einsammelt, sollten wir nicht trauen. Professionelle Zweifler als Filter sind nach wie vor notwendig …

[Walter Braun]
stats