Editorial von Sebastian Loudon.
Da war sie wieder einmal, die Informationsoffensive der Privatsender – anlassbezogen, amerikanisch und ganz schön laut. Im Finale des Wahlkampfes zum Wiener Gemeinderat schwangen sich ATV und Puls 4 mit zwei unterschiedlichen Show-Konzepten auf, dem ORF in seinem angestammten Revier der Polit-Berichterstattung das Wasser abzugraben.
Das Ergebnis dieser Bemühungen wird widersprüchlich wahrgenommen. Die Reaktionen oszillieren zwischen frenetischem aber durchschaubarem Beifall von Boulevard-Kolumnisten, die hier – wieder einmal – eine Gelegenheit sehen, den mit Hass verfolgten ORF Managern angesichts der Innovationskraft der Privatsender eine original Wiener G‘nackwatsch‘n zu verpassen. Dem stehen ganz strenge Beobachter gegenüber, die sich darüber echauffieren, dass die Privatsender Politik endgültig zur Show verkommen lassen, Eintrittskarten an Parteianhänger verkaufen (ATV) oder – Pfui! – für das Publikumsvoting Mehrwertnummern verwenden, um an der Teilnahme der Fernsehzuschauer einen (kleinen) Teil der Produktionskosten hereinzubekommen.
Das laute Schlachtenbummler-Konzept der ATV-Show „Meine Wahl“ (252.000 Seher) und die einem Boxkampf nachempfundene Puls 4-Show „Der Kampf um Wien“ (134.000 Seher) stoßen also ebenso auf Kritik wie auf Anerkennung. Den Kritikern rufe ich zu: „Na, und wenn schon!“ Es ist es nichts Schlechtes daran, Politik mit fernsehadäquaten Stilmitteln zu inszenieren. Und die lauten nun einmal: Emotion, Unterhaltung und – im Zeitaler der Castingshows – Bewertung vulgo Voting. Im Gegenteil. Politiksendungen dieser Art sind sogar dringend notwendig, um die Spitzenkandidaten einer tendenziell politikverdrossenen Jugend näherzubringen, ja sie überhaupt auf die Idee zu bringen, dass es außer dem durch die Discoshupfenden HC Strache auch noch jemanden anderen gibt.
Das ist der große Verdienst solcher Polit-Events – auch Politiker alten Typs werden greifbar und in weiterer Folge für die Jugend wählbar. Das hat auch etwas mit der „hohen sozialen Funktion des Fernsehens“ und seinem Beitrag für die Gemeinschaftsbildung zu tun, wie es der Philosoph Konrad Paul Liessmann beim AGTT-Forum (Seite 21) formulierte. Fernsehen kann viel zur politischen Bildung und Auseinandersetzung der Jugend beitragen, aber nur, wenn man verinnerlicht, wie dieses Medium – heute mehr denn je – funktioniert.
Und der ORF? Die Konfrontation der Spitzenkandidaten am Sonntagvormittag war tadellos, kreuzbrav und erreichte 241.000 Zuseher. Wie spannend diese Sendung war, zeigt das Bekenntnis einer Mitarbeiterin eines Wiener Regierungsmitgliedes, deren berufliche Zukunft natur gemäß vom Wahlergebnis am Sonntag abhängt. Auf die Frage, wie sie die Elefantenrunde im ORF erlebt habe, bekam sie rote Ohren und meinte: „Ich trau’s mich kaum sagen: Ich bin eingeschlafen.“ Und dafür soll sich ein durchschnittlicher Fernsehzuschauer interessieren? Beim ORF sieht man das inzwischen ein, wenn auch hörbar zähneknirschend: „Es ist eigentlich eine Schande, dass wir so etwas nicht auch können. Aber wir können es nicht. Noch nicht“, hört man es ehrlich aus den oberen Etagen des ORF. Natürlich mit dem Zusatz: „Aber wenn, dann würden wir es schon viel g‘scheiter machen als die Privaten.“ Na dann, bitte nur zu!