Exciting Lord: Nabokov, Christus und die Aufk...
 

Exciting Lord: Nabokov, Christus und die Aufklärung

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Jenseits des HORIZONT

Lord George Weidenfeld ist tot. 96 ist er geworden, gebürtiger Wiener, Emigrant, Flüchtling in England, zunächst Journalist bei der BBC, sprachbegabt, polyglott, gebildet und Zionist im liberalen Sinn, eine Zeit lang engster Berater und Kabinettschef von Chaim Weizmann. Ein Frauenverehrer, Charmeur und Liebhaber. „Ich hatte ständig eine romantische Vorliebe für schöne Botschafterinnen, besonders wenn sich bei ihnen Eleganz und politischer Verstand paarten.“ In Großbritannien hat er einen Verlag begründet, exzentrisch und aufklärerisch, ungemein klug in der Auswahl der Autoren und exzellent in den Verhandlungen mit den Autoren. Weidenfeld hatte stets das Gespür für das Exzentrische. Mit Nabokovs „Lolita“ landete er einen Bestseller, eröffnete neue Dimensionen in den Verwertungsketten. Die ­Erinnerungen des Entdeckers der DNS, James D. Watson als „Double Helix“ war der erste Sachbuch-Blockbuster der 80er Jahre.

Toleranz und libertärer Geist trieben ihn an. Er war gelernter Diplomat der alten Wiener Schule, hätte wohl auch am Wiener Kongress geschickt die Fäden gezogen, eine Mischung aus Talleyrand, Metternich, Gentz und ein Nachkomme Jean-Jacques Rousseaus. Er war hartnäckig in seinen Verhandlungen, schuf sich scheinbar spielerisch das wohl beste Netz an Kontakten mit großen Geistern und Gestaltern, war dem einen oder anderen Staatsmann hinter den Kulissen behilflich, die allesamt in seinem Verlag ihre Memoiren veröffentlichten: von Konrad Adenauer über Lyndon B. Johnson, Charles de Gaulle, Golda Meir bis Henry ­Kissinger, Mosche Dajan oder ­Schimon Peres. Und zuletzt – als Kontrast zu ­allem, was man erwartete: Johannes Paul II.

Den Verlag hat er in den 90er-Jahren verkauft, um als Siebzigjähriger nochmals Neues aufzubauen. Der Club of Three, lange vor Davos und anderen intellektuellen Kongressen, war das erste Diskussionsforum zwischen Deutschland, England und Frankreich, ein Vorbild für alle Konferenzen die später kommen sollten und unendlich breit in der Thematik: Wissenschaft, Philosophie, Kultur und zuletzt erst Politik – mit Nobelpreisträgern, Staatsmännern und Historikern. So waren auch die Prämissen des Lords: Kultur und Diskurs sind Vorbedingung für gute Politik. Er war der erste, der das Wort Exzellenzuniversitäten prägte, Netzwerke unter den Unis weltweit – darunter auch das Weizmann-Institut in Israel – aufbaute, Stiftungen miteinander vernetzte.
Er war immer wieder krank, was seinen Geist zu schärfen und herauszufordern schien, lebte, nein residierte, in Hotels und genoss es, mit jungen Menschen zusammenzukommen, in Aulen und bei Symposien. Er war Versöhner und scharf urteilender Intellektueller zugleich. Ein souveräner, uneigennütziger Mittler der Kulturen.

Seine letzte Kolumne in der Welt erschien noch im Jänner diesen Jahres. Bitter war sie, anklagend: Eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Flüchtlingskrise und ein Appell, auch etwas für die verfolgten Christen in Syrien zu unternehmen. Das sagte er, der bekennende Jude, Lord und Mitglied des Britischen Oberhauses, den man wegen seines Lolita-Abenteuers vor Jahrzehnten aus dem Unterhaus geworfen hatte – wegen Unsittlichkeit.
Aus dem Club of Three wurde das Institut für strategischen Dialog: wieder so eine Weidenfeld-Wortprägung.

Anderen war er immer um Jahre voraus, auch wenn er sie das nie spüren ließ, er, der gestern ahnte und heute formulierte, was er zwei Jahre später auf den Boden brachte. Er hat das Leben geliebt, sog Bücher in sich auf, trank gerne Alkohol bisweilen, war ein Sir im Auftritt, und ein kleines Kind, wenn er gelobt und ausgezeichnet wurde. Der Adelstitel und die Mitgliedschaft im Oberhaus haben ihn gefreut. „Most exciting“ pflegte er zu sagen, fast so wie Kaiser Franz Josef, den alles sehr gefreut hatte. Most exciting sagte er zu ­jugendlichen Intellektuellen, die mit ihren Thesen zu ihm kamen.
Er ist gegangen. Mit 96.

[Jenseits des HORIZONT]



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