Vizekanzler Michael Spindelegger will offensichtlich der Wiener Zeitung die Existenzgrundlage rauben. Das entspricht seinem Horizont. Die Wiener Zeitung ist zu wichtig, als dass sie sich den Sparfantasien eines Entfesselungsanhängers beugen müsste.
Die Wiener Zeitung ist eine gut gemachte Qualitätszeitung, weit über dem Niveau der österreichischen Durchschnittspresse. Das ist das eine. Sie ist aber vor allem staatspolitische Notwendigkeit: als Visitenkarte einer Republik, Informationsgeste an die Diplomatie und objektivierendes Informationsmedium für eine relevante Leserschicht.
Österreich braucht ein Medium. Als res publica. Wer dem abschwört, zeigt Unerzogenheit in der Sprache und Vernachlässigung des demokratischen Selbst. Bitte: Hände weg von der Wiener Zeitung. Es gibt dutzende andere Einsparungsmöglichkeiten – abgesehen davon, dass man sich mit einer erzwungenen Einstellung der Zeitung nichts ersparen würde. Hohn und Missachtung vielleicht wären die Konsequenzen.
Die Wiener Zeitung ist darüber hinaus eine wichtige Stimme innerhalb der österreichischen Tageszeitungen. Sie ist gut gestaltet, bietet eine für österreichische Verhältnisse umfassende Auslandsberichterstattung online und offline. Sie ist zudem mutig und gar nicht fad: Der Kommunalteil (Wien) ist bisweilen investigativer und recherchetreuer Journalismus erster Güte. Die Einsprengsel – von der sprachgeschichtlichen Glosse bis zu den Kommentaren anderer – sind wohltuend. Der Kulturteil entschädigt für die Wut und Trauer, die man bei der Lektüre anderer Medien empfindet. Das Wochenendsupplement ist – neben dem der Salzburger Nachrichten – das beste, das wir im Land haben. Bei allem Respekt vor Spectrum und Album, wo man Einsparmaßnahmen schmerzhaft registriert: Die Wiener Zeitung ist die einzige mit einer ausführlichen Radiovorschau – vorbildlich für den deutschen Sprachraum. Und ein verlässlicher Kulturguide.
Warum der Vizekanzler, wie einige ÖVP-Politiker vor ihm, die Wiener Zeitung infrage stellt, kann rational nicht beantwortet werden. Gewiss ist aber: Das Medium kann ohne die Pflichtveröffentlichungen nicht überleben.
Gegenfragen: Könnten ausgewiesene Gratismedien ohne vorauseilend viele Inserate der Ministerien, Kommunen und öffentliche Schaltungen überleben? Was tragen diese zum öffentlichen Ansehen der Republik etwa in der Diplomatie, in Botschaften und Kulturforen bei? Wie sähe die Parlamentsberichterstattung ohne die Wiener Zeitung aus?
Österreich vergibt als Staat viele Subventionen für unterschiedliche kulturelle und mediale Aktivitäten. Der Staat und die Regierung haben die politische Pflicht, sich ein gutes Medium zu leisten. Und sei es nur, um nachzuweisen, dass das Land eine Kulturnation sei.
Es spricht für eine unentspannte Haltung des Vizekanzlers zu intellektuellen Herausforderungen und zur Medienpluralität, wenn er – aus welchen Motiven auch immer – nunmehr die Zeitung langsam sterben lassen will.
Ich hoffe, aufgeklärte und freidenkende Parteikollegen des Vizekanzlers sehen das ebenso.
Ich möchte die Wiener Zeitung nicht missen.
[Jenseits des HORIZONT]