Ein europäisches Medium?
 

Ein europäisches Medium?

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Jenseits des HORIZONT

Medien können Identitäten schaffen. Differenzierungen kommunizieren, Diskurse entfachen, Verständnis oder Gemeinsamkeiten forcieren. Und wohl auch mobilisieren.
Die Wahlbeteiligung an den jüngsten EU-Wahlen war erschreckend niedrig. Auch bei Jungen und Erstwählern. Dabei hatten sich die öffentlich-rechtlichen TV-Stationen bemüht, möglichst viel über Europa zu berichten. Erstmals wurden – wenn auch zumeist ein wenig hilflos und zu ungünstigen Sendezeiten – Diskussionen der Spitzenkandidaten ausgestrahlt. Offensichtlich mit geringem Erfolg.

Die EU hat vieles: Rettungsschirme und eine Zentralbank, Agenturen und Bankenaufsichtsgremien, Dutzende Sondertöpfe und Förderungsquellen, aber kein Medium. Gewiss, die EU-Websites sind informativ bis zur ­Abschreckung, trocken und überbordend vor Releases, Statements, Resolutionen und Dossiers. Es gibt herausragende Statistiken – wenn man sie findet und sich überhaupt zurechtfindet auf den unterschiedlichen Portalen. Die Zugriffsraten halten sich in Grenzen: Die Sites sind abweisend. Gewissermaßen Artefakte. Selbst die Multimedia­streams werden kaum gesehen. Und ­Euronews, der an sich gut gemachte Sender, wird zu wenig promotet.

Die EU hat kein Gremium, kein ­lebendiges Forum, das Emotionen entfachen könnte. Vielleicht liegt es auch daran, dass weder EU-Begeisterung noch emotionale Beziehung zu ihr aufkommen wollen.
Eine Vision braucht aber ein Medium, ein Narrativ. Es gibt nicht einmal eine EU-Soap-Opera, keine Short Stories, maximal schwerfällig formulierte Bekenntnisse. Sie wirken mühsam und konstruiert.

Vielleicht sollten sich kluge Medienmacher, Storyteller, Komödianten und Medienmanager einmal zusammensetzen und über ein Europa nachdenken. Ein neues Europa-Portal, ein TV-Channel, der Experimente ebenso zulässt wie Mainstream. An der Finanzierung sollte so etwas nicht scheitern. An kreativen und politisch wachen Köpfen, die sich an einer europäischen Idee reiben möchten, wohl auch nicht.
Vielleicht wäre so ein Medium auch hilfreiches Instrument einer neuen EU-Außenpolitik, Zeichen von Selbstbewusstsein und Selbstironie. Kulturelle Vielfalt aus Europa. Avantgarde im ­besten Sinne.

Es wäre eine Aufgabe des Par­laments, Derartiges mächtig einzu­fordern.
Europaweit wird kritisiert, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten nur ihre zweiten und dritten Garnituren an politischen Talenten für das EU-Parlament nominierten. Oder diejenigen, die man aus der Innenpolitik entfernen wollte.
Wie diese zweite Garnitur beschaffen ist, kann man sich vorstellen, wenn man die Qualität der ersten Garnitur der heimischen Politik beobachtet. Dritte Wahl ist noch ein Kompliment.

Vielleicht beweisen die EU-Abgeordneten, dass sie autonom sind. Und sich emanzipieren von kleinlichen ­nationalen Interessen.
Ein Medium wäre eine lohnenswerte Initiative. Eine EU-Sitcom vielleicht ein Hit auf allen Channels. Und der Beginn einer neuen Community.
Man darf noch träumen.
Nach dem Traum der EU-Wahlen.

[Jenseits des HORIZONT]
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