Editorial von Rainer Seebacher
Werbefestival in Cannes: Ein Kaleidoskop aus überragender Werbung, aber auch weniger nachvollziehbaren Grand-Prix-Gewinnern, übermüdeten Jury-Präsidenten, die vom „Ende des Konsumenten“ sprechen und die Werber an sich als Gutmenschen anpreisen, inspirierenden Reden von Mächtigen aus Politik und Werbung, erschöpften Teilnehmern der Young Lions, einer überforderten WLAN-Wolke, enttäuschten Kreativen aus Österreich und grellen, aber auch gemütlichen Strandpartys in einem der versnobtesten Orte der CÔte d’Azur.
Was bleibt übrig? Als Österreicher ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit, der Kleinheit, des Nicht-Existierens: Unter all diesen Kampagnen, die – manchmal mehr, manchmal weniger – überraschten, sorgte nur einmal eine Arbeit aus Österreich kurz für Aufmerksamkeit. Die von DDB Tribal Wien kreierte Kampagne „McCafé“ für McDonald’s Österreich, die einen Löwen aus Bronze in der Kategorie „Press“ erreichen konnte, hat die österreichische Ehre gerettet. Einerseits: Immerhin. Andererseits: eine Blamage. Freilich: Österreich ist klein. Doch kann das eine Ausrede sein, nur wenige international konkurrenzfähige Kampagnen hervorzubringen? Für das Abschneiden in Cannes nur bedingt. Denn das Werbefestival heißt „International Festival of Creativity“. Eine gute Idee und deren Umsetzung müssen nicht teuer sein. Das hat die schwedische Kampagne „Curators of Sweden“ gezeigt, bei der ein Schwede eine Woche lang die Betreuung des offiziellen Twitter-Accounts des Landes übernimmt – mit allen damit verbundenen Risiken.
Wie uns das Jahr 2011 lehrt, in dem die heimische Kreativszene in Cannes überhaupt nur fünf Shortlist-Plätze erreichte, wird die jetzige Niederlage wohl ohne nachhaltige Folgen bleiben. Viele aus der Kreativszene werden mit Verschwörungstheorien gespickte Ausreden kreieren: „Die Juroren in Cannes verstehen den typisch österreichischen Schmäh nicht“ oder „Es ist für die Jury schon von Bedeutung, aus welchem Land eine Kampagne kommt“. Diese und noch ein paar mehr Ausreden reichen dann, um in ein paar Wochen wieder zur Tagesordnung überzugehen.
Den heimischen Auftraggebern ist das Abschneiden beim wichtigsten Werbefestival der Welt tendenziell egal: Man wirbt ja nicht für die Welt – man wirbt ja für Österreicher. Doch ticken wir Konsumenten in Österreich wirklich anders? Sind wir gegenüber frischen Ideen weniger aufgeschlossen als Deutsche oder Schweizer? Mögen wir es nicht, wenn uns eine Marke dort überrascht, wo wir es gar nicht erwartet hätten? Verabscheuen wir das Gefühl, von einem Unternehmen als Mensch und nicht als Umsatzbringer gesehen zu werden? In anderen Ländern ist die Masse an Werbung auch keinen Löwen wert. In anderen Ländern gibt es aber werbliche Höchstleistungen – an denen sich dann wohl auch die gesamte Kreativindustrie eines Landes orientieren kann. In Österreich gibt es diese Spitze derzeit nicht – sagt beispielsweise auch PKPBBDO-CEO Fred Koblinger gegenüber HORIZONT.
Eine Arbeit, die in Cannes mit sehr viel Edelmetall ausgezeichnet wurde, gibt Hoffnung: Der Geschäftsbericht des Vereins Austria Solar. Sie existieren also auch hierzulande, die Auftraggeber, die Kreativität zulassen. Vielleicht findet sich ein solch mutiges Unternehmen auch bald mit findigen Werbern aus Österreich zusammen? Denn auch wir Journalisten würden uns riesig freuen, aus dem Pressezentrum im Palais des Festivals in Cannes Jubelmeldungen zu verfassen, anstatt den deutschen und auch Schweizer Kollegen beim Zählen „ihrer“ Awards zusehen zu müssen.
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Rainer Seebacher]
PS: Das Werbefestival in Cannes läutet auch – mit ein wenig Verzögerung – den Sommerfahrplan von HORIZONT ein. Nach dieser Ausgabe erscheint die nächste Ausgabe von HORIZONT am 13. und die übernächste am 27. Juli. Danach geht es bis zum 10. August im gewohnten Wochentakt weiter. Am 24. dieses Monats erscheint die letzte Doppelnummer, und wir versorgen Sie wieder bis 14. Dezember wöchentlich mit Neuigkeiten und Geschichten aus Werbung, Medien und Marketing