Kommentar von Walter Braun
Dass die auflagenstärkste Zeitung im gesamten englischsprachigen Raum über Nacht abdankt, ist nicht wirklich Beachtung außerhalb der Landesgrenzen wert. Dass der mächtigste Medienmann der Welt eine gut gehende Zeitung opfert, um nicht die Wachstumspläne seines TV-Imperiums zu gefährden, hat schon mehr Zugkraft. Dass die Polizei in einem journalistischen Telefonabhörskandal lax ermittelt und die Spitzen der Politik irgendwie involviert sind, schreit dagegen nach dem internationalen „Kommentariat“. Alles nur Oberfläche. Den wirklichen interessanten Aspekt an diesem Mediendrama hat keiner der Fernfuchtler (© Peter Handke) thematisiert.
Die eingestellte News of the World war ein Produkt des britischen Medienmarktes, der nicht zu Unrecht als der weltweit aggressivste gilt. Eine typische Boulevardzeitung, die am liebsten Sexskandale breittrat. Das alleine hätte aber nicht gereicht, die unglaubliche Erfolgsstory des 168 Jahre alten Sonntagsblatts zu erklären. 1950 war die NoW mit einem wöchentlichen Absatz von über acht Millionen Stück die bestverkaufte Zeitung der Welt. Sie war das Tor der „ungebildeten Massen“ zur Welt der Nachrichten. Was die News of the World auszeichnete, war Aufdeckungsjournalismus. Furchtlos, oft genug auch rücksichtslos. Während in Frankreich sexuelle Fehltritte von Spitzenpolitikern als „Privatsache“ verschwiegen werden, fand sich in England oft genug ein Fotoreporter im Schlafzimmer versteckt, dessen Bilder dann den Seitenspringer zu Fall brachten. Um einen Korruptionsverdacht zu bestätigen, war es dem Blatt auch nicht zu blöd, einen falschen „Scheich“ samt geldgefülltem Koffer einzusetzen.
Dass die journalistischen Methoden moralisch fragwürdiger wurden, hat mit dem Wettbewerb und einer gewissen Laissez-faire-Haltung in England zu tun. Aber auch interne Gründe. Als Rebekah Brooks die Verlagsspitze bei der News of the World erklomm, änderte sich die Zeitungspolitik. Einer ihrer Unterlinge hat enthüllt, wie sehr sie ihre weiblichen Reize einsetzte, um den Mächtigen auf den Pelz zu rücken. Wie sehr sie PR-Agenturen die Tür öffnete. Wie sehr sie willens war, gute Geschichten zu opfern, wenn sie ihre privaten Kreise störten, und im Gegenzug frei erfundene Meldungen ins Blatt stellte. Aus Lesersicht ist das ein weitaus schlimmeres Vergehen als die sinnlosen Abhörversuche (übrigens von einer Konkurrenzzeitung aufgedeckt).
Das wirkliche Problem liegt anderswo: Dass die Presse zunehmend in der Kontrolle der Mächtigen versagt. Es ist nicht bloß die prekäre finanzielle Situation vieler Medien, die teuren investigativen Journalismus killt. Es ist die demokratiegefährdende Nähe der Politik zur Wirtschaft (in Brüssel wird lustvoll das Washingtoner Lobbyistenunwesen imitiert!), die Aufdeckungsjournalismus verunmöglicht. Die Macht ist geballt, und Journalisten scharwenzeln untertänig, um Zugang und ein paar Meldungsbrösel zu erhalten. Die Medien sind nun Teil dieses Spiels, und Rupert Murdoch hat es hemmungsloser gespielt als alle anderen Medienzare. Das ist die wirkliche Geschichte …
Walter Braun