Jenseits des HORIZONT (HORIZONT 3/2016)
Das neue Detroit ist Las Vegas. Automobilität der Zukunft statt immer neuer Gadgets, TV-Screens oder Joysticks. Der Kniefall der Autohersteller vor der Kreativindustrie. Vor den Handlangern aus Las Vegas, die keinen besseren Motor, keine schnelleren Boliden entwickeln wollen, sondern iPhones und Tablets im selbstgesteuerten mobilen Ambiente, das sie geräuschlos und störungsfrei durch die Rushhour geleitet.
Vor wenigen Jahren gab es zwei dominante Events in den USA – mit weltweitem Echo. Die Detroit Auto Show. Ein Pflichttermin für die weltweiten Automobilhersteller. Ein Jahrmarkt der PS- und CAR- und Fuel-Guys.
Im Schatten Detroits, aber in der schrillen Buntheit populärer Entertainer lief die CES ab. Die Gaming- und Heimelektronikindustrie zeigten Utopien, die am nächsten Tag schon Wirklichkeit waren: Konsolen und Adventure-Games, Smart-Watches und TV-Geräte in 4k und 8k.
Nicholas Negroponte formulierte vor mehr als 20 Jahren sein Internet der Dinge und dass eine Kaffeetasse eine intelligente Url sei, was heute so normal ist, dass es niemanden mehr aufregt, der ohne Wearables und dem neuesten iPhone nicht mehr existieren kann.
Was wie ein schlichter Szenenwechsel erscheint, ist der bedeutendste Paradigmenwechsel der vergangenen Jahrzehnte. Die Automobilindustrie, die Fuel-Boys und die Motoringenieure haben die Hegemonie der Algorithmiker und Software-Spezialisten anerkannt.
Noch gehen sie nicht in die Knie und sprechen von Kooperationen, noch beteuern Google, Apple und Co., dass sie keinesfalls vorhaben, ein Automobil zu produzieren. Das Match um die Hegemonie in der Mobilität ist voll entbrandt. Die Transformation der Produktgesellschaft in die Vernetzungsideologie findet statt. Das erste aller Dinge heißt Data, die unsichtbare Hand des Marktes ist der Algorithmus, unsichtbar zwar, aber durchaus kontrolliert und in der Hand weniger großer Unternehmen mit charismatischen Führungspersönlichkeiten
Noch ist das Match nicht entschieden. Individuelle Mobilität lässt sich nicht kollektivieren. Datensensibilität ist der Virus, der die Algorithmiker angreift.
Die klassisch produzierende, intelligente Industrie könnte jetzt mit dem Know-how auftrumpfen, das ihre digitalen Konkurrenten entwickelt haben: Web 4.0. Die Vernetzung und automatisierte Steuerung zwischen Motorenherstellern, IT-Lieferanten, Reifenherstellern und kundennahen Verkäufern. Gegen diese Allianz hätte selbst das drohnengesteuerte Google-Auto keine Chance. Offensichtlich und spät ist den intelligenten Automobilkonzernen das bewusst geworden. Deshalb inszenieren sie sich als die Propheten der CES.
Die Gambler dürfen inzwischen weiter zocken. Die schwer defizitären Casinos in Las Vegas freuen sich über neue Gewinne und Attraktivität.
Die Konsumenten haben keine Wahl: von den einen sind sie bereits gefangen genommen und zu freiwilligen Datenlieferanten erzogen, autonom Auto fahren wollen sie immer noch und am besten beides auf einmal haben. Die Multitasking-Gesellschaft ist maßlos.