Das High des Schnäppchenjägers
 

Das High des Schnäppchenjägers

Kolumne von Walter Braun

Jedes Jahr, so scheint’s, wird der sogenannte „Black Friday“ ein wenig wüster. Am Tag davor feiert ganz Amerika den Thanksgiving Day, ergo ein verlängertes Wochenende, noch dazu in der Vorweihnachtszeit. Handelsketten haben quasi als Tradition eingeführt, Rabatt­jäger mit Supersonderangeboten in großen Scharen anzulocken. Was Jahr für Jahr funktioniert. Heuer versuchte die britische Supermarktkette Asda (im Besitz des US-Konzerns Wal-Mart) ein ähnliches Gaudium – mit vergleichbaren Auswüchsen. Sogar zu einer Verhaftung ist es gekommen … der Stress in überfüllten Räumen plus die Angst, etwas zu verpassen, lässt manche auszucken.

Unschuldige Frage: Weshalb gehen wir eigentlich so gerne einkaufen? ­Simple Antwort: Unsere alten Jagd­instinkte bescheren uns ein Hoch­gefühl, wenn wir etwas „erlegt“ haben. Was die Kaufleute natürlich wissen und deshalb online ähnliche Traditionen wie den Schwarzen Freitag einzuführen suchen; nach dem Cyber Monday ist jetzt auch ein Sofa Sunday im Kommen.

Dennoch: Warum diese Habgier? Kit Yarrow, die sowohl eine Professur in Psychologie als auch Marketing innehat, meint, das Verschwinden alter sozialer Bande verunsichert und isoliert viele Menschen. In einen gut bekannten ­Einkaufstempel zu pilgern und dort eine vertraute Marke zu kaufen, ist eine beruhigende Ersatzhandlung, eine Kompensation für fehlende tiefe Beziehungen. Laut Gehirnforschung weisen Shopper im Falle des Fühlgut-Neurotransmitters Dopamin Spitzenwerte auf, wie sie von den Drogen- oder Esssüchten bekannt sind. Bei zwanghaften Schnäppchenjägern lässt sich wohl „Einkaufssucht“ diagnostizieren. Vielleicht müssen Schulen in der Zukunft ein „Einkaufs-widersteh-Training“ in den Unterricht aufnehmen?

Der Handel sitzt am längeren Ast, wenn psychologische Nöte mit Ein­kaufen selbsttherapiert werden. Da ist für Anbieter die Versuchung groß, noch einen Schritt weiterzugehen. Nachdem das viel gepriesene Neuromarketing keine Urwälder ausgerissen hat, richtet sich die Suche jüngst auf Gesichtsanalyse. Wir identifizieren Stimmungen via Gesichtsausdruck instinktiv. Nun schafft das auch eine detaillierte Bild-für-Bild-Auswertung von winzigen Muskelregungen, die auf gewisse Gefühle schließen lassen. Die US-Firma Affectiva wird im kommenden Jahr eine Gesichts­erkennungs-App für Mobiltelefone ­anbieten. Ein mit Webcams ausgerüs­teter Supermarkt könnte sich versucht sehen, Gedankenlesen zu probieren. Die Gesichtslesetechnik ist zwar nicht ganz verlässlich, kann aber mit anderer Software (die Stimmen, Gesten oder ­Augenbewegung analysiert) verbunden werden. Unilever, Mars und Coca-Cola sind bereits Kunden bei Affectiva, detto die Marktforschungsagentur Millward Brown. Geheimdienste auch?
Lesetipp zum Vormerken: „Decoding the New Consumer Mind“ von Kit ­Yarrow, Verlag Jossey-Bass, April 2014.

[Walter Braun]
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