Buchverlage: „Zurzeit wie im Wilden Westen“
 

Buchverlage: „Zurzeit wie im Wilden Westen“

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Kommentar von Walter Braun.

Zu Beginn dieses Jahres mutmaßte ich, dass 2010 ein Scheidejahr für traditionelle Medien sein werde. Für die Buchverlage ist das tatsächlich so gekommen. Seit im Jänner der iPad auf den Markt gekommen ist, bleibt in der Branche kein Stein auf dem anderen. Apple-Chef Steve Jobs, der noch vor ein paar Jahren verkündet hatte, das Internet könne das Buch nicht retten, „da die Leute nicht mehr lesen“, hatte den iPad ganz auf Buchlesefunktion hingetrimmt. Bereits am nächsten Tag war der Chef des Verlagsriesen Macmillan bei Amazon vorstellig. Zankapfel: Die Preisgestaltung bei elektronischen Büchern.

Nach einem Sturm im Wasserglas gewann der Buchverlag, der sich vom alles dominierenden Händler (der E-Bücher unter Verlust verkaufen wollte, um sein Lesegerät Kindle zu promoten) nicht drücken lassen wollte. Im Sommer versuchte Andrew Wylie, der einflussreichste Literaturagent der Welt, abermals einen Aufstand. Die Agentur kündigte an, die elektronischen Buchausgaben der vertretenen Autoren selbst direkt publizieren zu wollen. Der Showdown mit Random House endete mit einem Sieg des Großverlages.

Der Konflikt ist aber vor Kurzem wieder aufgeflammt, diesmal in England. Hachette, der größte Verleger Großbritanniens, gab kund, die Endverkaufspreise für E-Bücher festlegen zu wollen. Die großen Online-Geschäfte haben seither die Hachette-Titel zurückgezogen, aber der Verleger hat (noch?) nicht klein beigegeben. Auch bei der kürzlich erfolgten Buchmesse in Frankfurt war die Stimmung höchst verunsichert. Die ganze Branche ist im Umbruch, die Rollen von Autoren (Copyright, Vergütung), Agenten, Verlagen und Handel werden neu geschrieben, aber keiner kennt den Text.

Der Autor und Vorsitzende der britischen „Society of Authors“, Tom Holland, beschrieb die Situation lapidar mit: „Das ist wie Wrestling in einem Schnellbindezement“. Jamie Byng, Gründer von Canongate Books, meinte: „Es ist zurzeit wie im verdammten Wilden Westen.“Im Untergrund passiert derweilen etwas ganz anderes. Junge Menschen, die den Trend zum Virtuellen voll mitgemacht haben, sind plötzlich hungrig nach echtem Leben, weshalb Live-Events boomen. Nicht nur Musikveranstaltungen.

In London nehmen Lesungen stark zu: Unbekannte Autoren hoffen so, ein paar Bücher zu verkaufen oder sich einen Namen zu machen. Auch Buchfestivals im Stil von Hay-on-Wye (wo sich seit 1988 Freude gebrauchter Bücher einmal im Jahr zu einer einwöchigen Veranstaltung treffen), breiten sich nun in der ganzen Welt aus. Während offiziell „alles digital“ gilt, gewinnt eine nostalgische Gegenbewegung an Umfang. Aber jemand muss draufzahlen, wenn immermehr Verbraucher ihren Lesestoff digital konsumieren, und das dürften billige, unansehnliche Taschenbücher sein. Gebundene Bücher könnten bei dieser Entwicklung gar gewinnen. Ebenso wendige, unabhängige Verlage, die sich dem Einheitsbrei der Medienkonzerne entziehen, die ihrAngebot zu einseitig an „vermarktbaren Namen“ ausrichten.

Walter Braun



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