Am Ende eine einheitliche Nachrichtensoße?
 

Am Ende eine einheitliche Nachrichtensoße?

Kolumne von Walter Braun

Wozu sind Tageszeitungen gut? Hätte vor 30 Jahren niemand gefragt. Seit aus allen Häusern und Hosentaschen digitale Tentakel hängen, die uns mit der Welt verbinden, gewinnt man den Eindruck, dass es den Print-ist-tot-Verkündern nicht um Inhalte geht, bloß um bequeme Übertragungswege. Eine zweite Argumentation wäre, dass Mensch mobil ist, tragbare Geräte daher die Wahrnehmung dirigieren.

Beginnen wir mit der Alle-sind-mobil-Verkündung: Stimmt es, dass zeitgenössische Rezipienten Nachrichten konsumieren, während sie Einkaufsstraßen entlang zuckeln? Nein. In Wirklichkeit wird der Großteil der Inhalte sitzend genossen, zu Hause oder am Arbeitsplatz. Nix mobil.
Eine andere Weissagung prophezeit, dass Apps das Web ablösen werden. In der nicht ganz so heiß gegessenen Realität beschränken sich die meisten auf zehn bis 20 Lieblings-Sites, angedockt über PC oder Tablet. Detto finden sich auf dem Handy zehn bis 20 Lieblingsdienste. Alles andere wird über Suchmaschinen oder Sozial­kanäle abgehandelt. Der Großteil des Verkehrs geht also nach wie vor über das Web. Nix Apps über alles.

Bedenklich stimmt aber, dass über ein Viertel der gesamten Internetzeit mit Abhängen auf Facebook verbracht wird. Ist dieses Verhalten in Stein gemeißelt oder eine Modeerscheinung?

Medienanbieter haben wenig Wahl: Wer genügend Direktkunden besitzt, sollte ihnen auch mittels App auf den Fersen bleiben. Alle anderen werden auf Suchprogramme oder Sozialplattformen nicht verzichten können.
Dennoch möchte kein Verleger von Programmierern bei Google oder ­Facebook abhängig werden. Selbst Medienlieferanten, die alle Werbeeinnahmen (wie lange?) und Zugang zu den Nutzungsdaten erhalten – „Instant Articles“ – haben einen großen Nachteil: flüchtige Rezeption.

Facebook-Anhänger wollen primär von anderen Leuten hören; ihre Geistesverfassung ist also nicht von vornherein auf Kultur, Politik oder Wirtschaft ausgerichtet. Zudem ist die Konsumation von Neuigkeiten via Zwergbildschirm ein rasches Herunterrollen von Texten. Wenn Werbetreibende auf einen aufmerksameren Geisteszustand hoffen, sollten sie Print weiterhin unterstützen.

Rücken Sozialplattformen und Medienhäuser näher, könnte eine Homogenisierung (und dann Nivellierung) der Nachrichtenlandschaft die Folge sein. Optimierungsverfahren filtern schräge Meldungen/Ansichten aus. „Instant Articles“ werden kaum die Vielfalt der Meinungen abbilden. Wenn Anklickverhalten das Auswahlkriterium ist: Wie sollte man da je auf etwas völlig Neues stoßen?

Der Preis für mehr Bequemlichkeit (sich einmal Weiterklicken und Laden einer Website zu ersparen) könnte langfristig zu hoch sein …

[Walter Braun]  



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