’12 wird kein Honiglecken: Was ist zu erwarte...
 

’12 wird kein Honiglecken: Was ist zu erwarten?

Kommentar von Walter Braun

Ein Grund, warum Finanzmärkte oft missverstanden werden, liegt in ihrer mysteriös erscheinenden Aufgabe, Risiken zu kalkulieren. Im Alltag können wir ganz gut einschätzen, ob wir uns ein neues Auto leisten können oder nicht; derselbe Prozess, auf ganz Europa angewandt, ist schier unberechenbar. Das heißt, niemand(!) kann das Risiko eines Aufbrechens der Eurozone beziffern. Daher das Zaudern unter den Investoren.

 Drei mögliche Szenarien für das kommende Jahr: Komplettabsturz (relativ unwahrscheinlich)– tatenloses politisches Gerangel führt dazu, dass ein Land den Euro verlässt, worauf der Druck der Märkte andere Länder zu demselben Schritt zwingt. Soziale Unruhen wären die Folge, da ein Euro-Austritt einen schweren wirtschaftlichen Einbruch (20 bis 30 Prozent) bei den Betroffenen verursachen würde. Ökonomen der Bank ING schätzen, dass ein Zerfall der gemeinsamen Währung die gesamte europäische Wirtschaft allein im ersten Jahr um neun Prozent schrumpfen ließe. Das würde eine weltweite Wirtschaftskrise nach sich ziehen und selbst die EU gefährden. 

Sanierung (nicht sehr wahrscheinlich) – es kommt zu einer Fiskalunion, und die reichen Länder springen als Garanten für einen gemeinsamen Euro-Bond ein, der das Schuldenproblem des Mittelmeerraums kontrollierbar machen würde. Gleichzeitig kommt es zu einer radikalen Deregulierung (besonders bei Dienstleistungen!), was einen spürbaren Wirtschaftsaufschwung zur Folge hätte, der selbst die USA mitzöge. 

Durchwursteln (am wahrscheinlichsten) – die hohe Politik quält sich von einem Treffen zum anderen, Ankündigungen und kurzfristige Maßnahmen produzierend. Jahre der konjunkturellen Stagnation könnten folgen, ähnlich Japan in den vergangenen zwei Jahrzehnten (nur dass Europa nicht über das Sparpolster der Japaner verfügt). Die ungenügende Euro-Rettungsaktion hat zur Folge, dass Anleger die Eurozone meiden. Dazu kommt,dass die Großbanken bis Juni 2012 ihre Reserven erhöhen müssen. Laut Einschätzung von Barclays Capital könnten bis zu 3.000 Milliarden Euro aus der europäischen Wirtschaft abgezogen werden. Um Rücklagen zu erhöhen, müssen Banken entweder ihre Aktionäre um Geld ersuchen (derzeit ziemlich aussichtslos) oder den Bilanzumfang verkleinern. Genau das geschieht zurzeit. Weshalb die Gefahr besteht, dass der konzentrierte Abbau von Außenständen zu einer allgemeinen Kreditdürre führt. 

2012 könnte daher besonders kleinere Unternehmen hart treffen, wenn neue Kredite kaum zu erhalten sind beziehungsweise Refinanzierungen teurer werden. Dieser Umstand führt in der Regel zu Kündigungen und aufgeschobenen Investitionsprojekten. Was wiederum arbeitsplatzbesorgte Verbraucher animieren würde, den Konsum zudrosseln und die Sparrate zu erhöhen. Die ohnehin anziehende Inflation sorgt für weiteren Kaufkraftschwund. Bleibt zu hoffen, dass die Länder rasch reagieren und Kapital bereitstellen, auf dass der Finanzhahn nicht wie 2008 abgedreht wird, denn dann wäre eine abermalige Rezession unvermeidlich…

Walter Braun



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