Wahlkampf im Web: Die neue Art des Werbens
 

Wahlkampf im Web: Die neue Art des Werbens

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In Frankreich etabliert sich, was in Österreich nur ansatzweise erkennbar war: Die Präsidentschafts­kandidaten setzen auf digitale Programme, um Wähler zu gewinnen. Experten erläutern die Auswirkungen.

Die Wahl am 7. Mai bringt den Franzosen einen neuen Präsidenten. Der bisherige Wahlkampf und dessen Kampagnen wurden dabei verstärkt online ausgelagert. Auch, weil ein vor Kurzem verschärftes Gesetz die französischen TV-Stationen dazu zwingt, allen Kandidaten die exakt gleiche Sendezeit zu ermöglichen. Das bewirkte eine Forcierung der Social-Media-Aktivitäten der einzelnen Amtsanwärter, um erhöht Aufmerksamkeit zu generieren.

Insbesondere im Endspurt eines Wahlkampfes kann eine gezielte Social-Media-Strategie helfen, an klassischen Medien vorbei mögliche Wähler zu mobilisieren. Für die Kampagnen ist die Direktkommunikation im Internet vor allem via YouTube, Facebook oder Twitter natürlich eine Alternative mit Mehrwert.„Die Kandidaten haben die völlige Themen- und Spin-Kontrolle. Ebenso können unerwünschte Gegenreaktionen einfach nicht zugelassen oder gelöscht werden. In welchem Fernseh- oder Zeitungsinterview geht das? Nirgends“, meint etwa Politikwissenschaftler Peter Filzmaier gegenüber HORIZONT.

Mittels der direkten Ansprache im Internet würden die Kandidaten versuchen, zielgerichtet potenzielle Wähler zu erreichen und nicht Ressourcen und Kapital mit der Ansprache von Anhängern der etwaigen Gegenseite zu verschwenden. Dies kann allerdings in einer Stichwahl, in der auch andersdenkende Wähler gewonnen werden müssen, den erhofften Mobilisierungsschub via Social Media ausbleiben lassen.

Trotzdem: Für Philipp Maderthaner, Gründer und Geschäftsführer des Campaigning Bureau, ist die Mobilisierung essenziell: „Wer auf eine große Anhängerschaft bauen kann, macht sich unabhängiger von Strukturen in der eigenen Partei, aber auch den Medien.“ Marine Le Pen (Front National) und Jean-Luc Mélenchon (La France insoumise) setzten beispielsweise auf das Chatprogramm Discord, um mit ihren potenziellen Wählern zu diskutieren und sich auszutauschen. Mélenchon hat ebenso bereits seit Jahren einen eigenen YouTube-Kanal und berichtet fast täglich vor einem Bücherregal über aktuelle Ereignisse.

Der Ansatz der persönlichen Onlineansprache wird im Vergleich zu Österreich in Frankreich stärker verfolgt. Das passiert mit dem Hintergrund, dass die Unterschiede mehr in den französischen politischen Strukturen liegen als in der Gewichtung von Online-Campaigning an sich, wobei sich Österreich in den vergangenen Jahren kontinuierlich weiterentwickelt hat.

„Französische Politiker müssen auf allen Ebenen als Person und Einzelkämpfer genug Stimmen erhalten, es gibt keine sicheren Listenplätze nach dem Modell unserer Parteiwahlen“, sagt Filzmaier und verweist auf die dadurch intensiveren Auftritte der Kandidaten in den sozialen Medien, relativiert aber: „Wenn man Likes und Co in Relation zur Anzahl der Wahlberechtigten setzt, so haben die französischen Präsidentschaftskandidaten gar nicht unbedingt mehr Kontakte in ihren Internetkampagnen im Netz als besonders aktive Spitzenpolitiker in Österreich.“

Mehr Risikobereitschaft

Resultierend aus diesen anderen Strukturen erfährt die Kommunikationshandhabung in den sozialen Netzwerken in Frankreich seitens der Kandidaten auch mehr Risikobereitschaft. Auch, weil Politiker als Einzelpersonen „weniger Rücksicht auf Partei- oder Koalitionsinteressen“ nehmen müssten. Im internationalen Vergleich ortet Maderthaner bei Projekten in der Schweiz ein sehr hohes Niveau in Sachen Online-Campaigning.

„Die direkte Demokratie dort fördert diese Zugänge sicher, da regelmäßig mobilisiert werden muss. In Sachen Microtargeting sind die Briten Vorreiter, üblicherweise gefolgt von Frankreich“, sagt Maderthaner. Weiters stellt eine Social-Media-Kommunikation allein noch kein erfolgreiches Campaigning dar, wenn das Ziel am Ende die Wählermobilisierung ist.

‚Relevanz durch Nähe‘

Dies ist auch in Frankreich zu erkennen. „Worum es geht ist Relevanz. Relevanz entsteht durch Nähe. Und Nähe setzt voraus, dass ich mein Gegenüber kennenlerne“, so Maderthaner. Auf lokaler Einheit, in einer Grassroots-Bewegung, wäre eine Möglichkeit zu interagieren, wobei dies mit Vorsicht zu genießen ist, wenn es kein „Vorwissen“ über potenzielle Wähler gibt. Chatprogramme und soziale Netzwerke können im Kontakt ebenso helfen. Hier zeigt sich die Relevanz von sozialen Netzwerken und einer datenbasierten Auswertung des jeweiligen Inputs.

„Für die Kampagnenzentrale selbst gibt es aber nur eine Lösung, und das sind verhaltensorientierte Datenbanksysteme, in der jede Interaktion meiner Unterstützer erfasst und zu Profilen verarbeitet wird. Wer darauf verzichtet, tut sich schwer, die nötige Nähe zu schaffen, die letztlich dazu führt, dass meine Unterstützer für mich im Wahlkampf aktiv werden“, ergänzt Maderthaner.

Kandidat Emmanuel Macron beispielsweise setzte auf ein Pariser Start-up namens Liegey Muller Pons (LMP), welches über moderne Datenanalyse Offline und Online mit dem klassischen Haustürwahlkampf verbindet. Vorreiter der verhaltensorientierten Datensammlung und einer dadurch ermöglichten persönlichen Zielgruppenansprache war Barack Obama im Jahr 2008. Zuletzt sorgte Donald Trump mit Cambridge Analytica für Furore. Die Schlagwörter für die Grassroots-Bewegung von Macron sind Daten, Mictrotargeting sowie Personenprofile. Wobei ohne persönliche Ansprache keine Überzeugung stattfinden kann – damit kämpfen alle Kandidaten.

Heißt: Nachrichten via soziale Netzwerke werden keine Wähler mobilisieren. Eine Grassroots-Bewegung mit dem Fundament der Datenanalyse schon eher. Als Gewinner im Bereich der Onlinekommunikation wird gerne Jean-Luc Mélenchon dargestellt. Die Gründe erkennt Filzmaier in einer starken sowie nachhaltigen Online­strategie. Denn Mélenchon pflegt das Image des Underdogs und Außenseiters – und das nicht erst seit gestern. „Sein Beispiel beweist auch, wie langfristig online die Strategien geplant werden müssen. Sein YouTube-Kanal ist für viele Kult, doch gestartet hat er ihn 2012 und nicht heuer oder im Vorjahr“, erklärt Filzmaier.

Andersdenkende mobilisieren

Ein Knackpunkt der Präsidentschaftswahl bleibt, ob die Spitzenkandidaten Andersdenkende überzeugen konnten. „Dazu polarisieren die Social-Media-Inhalte der französischen Kandidaten oft zu sehr“ meint Filzmaier und ergänzt, dass die gemäßigten Wähler via traditioneller Medien auf eine Seite gezogen und im direkten Wählerkontakt überzeugt werden müssen. In der kommenden Stichwahl wird dieses Argument noch einmal ausschlaggebend sein.
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