CNN Journalist Awards: Junge Journalisten erzählen von Krieg, Versöhnung, Elektroschrott und Omas in Diktaturen. Sie zeigen ihr vielseitiges Können und ein tiefes Verständnis für Menschen und die Welt. Alle Beiträge, die am 24. März in London ausgezeichnet wurden, sind emotional, relevant und qualitativ hochwertig
"Der Moment, in dem Syrien in meinem Leben aufgetaucht ist, da war ich 21 und ich war bei einer Studentenparty in Frankreich. Es war schon ewig spät und es saßen Grüppchen Leute zusammen und die hatten eine Riesendiskussion über Gott und die Welt. Und einer im Eck hat grade, als ich einen Fetzen aufgeschnappt habe, gesagt: ‚Bei uns wäre das nicht passiert.‘
Ich schaute ihn an und habe gefragt: ‚Bei euch?‘ Er sagte: ‚In Syrien.‘ Das war so eine Initialzündung, da hat es Klick gemacht. Ich weiß nicht, ob es an dem Wort lag: ‚en Syrie‘ auf Französisch. Das klang so toll. Naja, oder lag’s an ihm, also beides irgendwie. Er war für mich damals der Hammer. Er hatte dunkle buschige Haare, lange, lange Wimpern und eine große schöne Nase.
Und dann haben wir uns den Rest der Nacht zu zweit unterhalten. Und als ich zu Hause war, konnte ich nicht einschlafen und hab das Licht noch mal angemacht und den Weltatlas aus dem Regal geholt und mir zum ersten Mal Syrien auf der Karte angesehen. Der erste Gedanke war: Das ist ja ein Mittelmeerland. Davor war es ganz weit weg gewesen. Auf einmal war es ganz ganz nah," die 34-jährige Deutsche mit dunklem Teint und Haar hat im jungen „Deutschlandradio Wissen“, einem Kanal mit hohem Sprachanteil ähnlich Ö1, ihre ganz persönliche, ein Jahrzehnt andauernde Liebesgeschichte zu einem Syrer erzählt.
Doetzer hat in einem deutsch-französischen Studiengang Sozialwissenschaften abgeschlossen, in einem palästinensischen Flüchtlingslager Englisch unterrichtet, bei einer libanesischen Tageszeitung, dem SWR und Al Jazeera in Doha, Katar, gearbeitet. Sie ist heute als freie Autorin in Deutschland tätig und sie war letzte Woche eine von sechs Preisträgerinnen, die im deutschsprachigen Raum mit dem CNN Journalist Award ausgezeichnet wurden.
Juryarbeit statt OpernballAuch die anderen Arbeiten, die von jungen Journalisten bis zum 35. Lebensjahr eingereicht und ausgezeichnet wurden, sind auf qualitativ höchstem Niveau, drehen sich um aktuelle Themen aus dem Nachrichtenbereich, sind eindrücklich wie vielfältig.
Die Wahl der Sieger aus 15 Nominierten fand heuer in Wien statt. Während der ORF einen großen Teil seiner Crew zum Wiener Opernball entsandte, lud Ingrid Thurnher, seit Jahren Jurymitglied des CNN Journalist Award und meist die einzige Frau, die illustre Journalisten-Juryrunde zur Diskussion am Küniglberg.
Dort besprachen dann Franz Fischlin, Moderator und Reporter der „Tagesschau“ des SRF, Frederik Pleitgen, CNN International Correspondent, Stefan Plöchinger, Chefredaktion Süddeutsche Zeitung, Hans Demmel, Geschäftsführer n-tv, Daniel Puntas Bernet, Chefredakteur Reportagen, und Autor und Moderator Jörg Thadeusz mit viel Einsatz und Begeisterung die nominierten Arbeiten, während Wien tanzte.
Es war keine österreichische Arbeit in der Endauswahl, aber die meist deutschen Beiträge beeindruckten die Jurymitglieder wie auch Gerhard Zeiler, Präsident von Turner Broadcasting Systems und für das internationale Business des Time Warner Konzerns außerhalb der USA verantwortlich. Alle brachten ihre Begeisterung für die Arbeiten bei der abendlichen Feier zum Ausdruck.
Thriller mit Happy End"Es ist emotional, unwiderstehlich, es zieht einen hinein", "ZIB 2"-Moderatorin Thurnher ist fasziniert von der Geschichte, die heuer in Print überzeugte. Im Berliner Tagesspiegel erschien sie und erzählt von Tom, einem deutschen Studenten in Göttingen, und Nabil, der noch vor nicht allzu langer Zeit in seiner inzwischen völlig zerstörten Heimatstadt Homs in Syrien Medizin studierte.
"'Glaubst du, dass du mir helfen kannst?' ist ein Thriller, man kann nicht aufhören zu lesen", bestätigt der Schweizer Journalist Puntas Bernet. "Mit vorläufigem Happy End", fügt er lächelnd an: Denn Tom gelingt es, dem jungen Nabil, den er gerade einmal zwei Tage lang in einem damals, vor einigen Jahren noch friedvollen, Syrien beim Couchsurfen kennengelernt hat, für Deutschland eine vorübergehende Aufenthaltsbewilligung zu organisieren.
Was nach einer einfachen Geschichte klingt, war für Autorin und Siegerin Alexandra Rojkov viel Arbeit – sie las und scannte 300 Seiten E-Mails und Facebook-Nachrichten, die ihr Tom zur Verfügung stellte. Die berührende Geschichte erschien in der Zeitung und war parallel dazu eine der meistgeklickten Storys mit Zugriffsraten bis zu 200.000 im Web.
"Unversöhnt" in RuandaWunderschöne, berührende und gleichzeitig tief erschütternde Bilder bannte der Filmemacher
Lukas Augustin innerhalb eines Jahres in seiner Dokumentation "
Unversöhnt" auf Leinwand. Seinen ersten langen Film drehte der junge Deutsche in Ruanda, wo vor 20 Jahren eine Million Menschen in 100 Tagen starben, als Hutu und Tutsi aufeinander losgingen – mit Hacken, Keulen und Macheten.
Nach dem Bürgerkrieg wohnen heute in Ruanda Opfer und Täter Haus an Haus, oft in kleinen Dörfern, wo man einander kaum aus dem Weg gehen kann. Augustin zeigt einen besonderen Ausschnitt. Er erzählt von Menschen, die nicht Rache üben wollen, sondern Wiedergutmachung und Versöhnung suchen.
Ein schwerer Weg, auf dem Augustin sechs Protagonisten, Opfer, wie Täter begleitet von der Organisation Carsa, die als Mediator agiert, filmt. In 75 Minuten wird der tiefe Schmerz und die beinah unheilbare Wunde des Krieges offenbar, aber auch die großartige Kraft, die im Verzeihen und der Wahrheitssuche liegen kann.
Der NDR finanzierte das beachtenswerte Filmprojekt, arbeitet mit einer sehr präzisen wie langsamen Erzählmethode, lässt den betroffenen Menschen viel Raum und spürt sensibel deren unendlich schweren Weg zurück ins Leben auf.
Schrott und Regime-OmasAußergewöhnlich und innovativ sind gleich zwei digitale Projekte, weshalb es auch zwei Sieger gab. Da ist die Idee von Christian Salewski und Felix Rohrbeck. Sie statteten ein kaputtes Fernsehgerät mit einem
GPS-Sender aus und wollten den Weg der Wiederverwertung aufzeichnen.
Schlussendlich fanden sie jedoch die traurige Wahrheit heraus, nämlich, dass der Fernseher, wie anderer Elektroschrott der westlichen Welt, oft gar nicht recycelt wird, sondern die giftigen Materialien und Stoffe der Geräte auf afrikanischen Müllhalden landen und so Länder, Flüsse und Meere zerstören. Die Umsetzung erfolgte digital wie filmisch. Die
Doku wurde auf NDR gezeigt.
Ebenso digital aufbereitet und für die Jury bestechend war die Idee von zehn Volontären des Auslandsrundfunks der ARD, Deutsche Welle. Die zehn Mädels und Burschen, alle mit migrantischem Hintergrund, setzten ein Multimedia-Projekt als eigene Website um. "
Meine Oma, das Regime und ich" zeigt die Großmütter der jungen Menschen, die alle in Diktaturen gelebt haben und erzählt deren Geschichten.
In der Kategorie Foto wurde von der Jury eine umfassende Arbeit von Jelca Kollatsch gekürt: "
Häuser ohne Menschen und Menschen ohne Häuser". Sie zeigt die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Menschen in Andalusien, die von der Regierung ihrer Wohngelegenheiten beraubt und teils zwangsdelogiert wurden, während viele Wohnungen als Spekulationsobjekte leer standen.
Gefeiert wurden die Sieger des Nachwuchspreises schließlich am 24. März im kleinen, feinen Rahmen im Londoner In-Lokal Century Club – erstmals fand das Event anlässlich des Zehn-Jahres-Jubiläums nicht in München statt. Neben 1.000 Euro Preisgeld wurde den jungen Journalisten und Journalistinnen am nächsten Vormittag ein Digital-fokussierter Workshop bei CNN geboten, im größten Newsroom außerhalb der USA. Hier ein zusammenfassender Link zum
Event-Video. Auch auf
n-tv wurde über das Event berichtet. Wer an mehr interessiert ist kann sich auch die
Jurybegründungen auf youtube ansehen.
Dieser Artikel erschien (in sehr ähnlicher Form) bereits am 3. April in der HORIZONT-Printausgabe 14/2014. Hier geht's zur Abo-Bestellung. Weitere Information: Die Redakteurin wurde von CNN nach London eingeladen.