HORIZONT-Experiment zeigt: Selbst für gähnend leere Seiten findet Facebook-Werbung klickende Fans. Doch ob es sich dabei um echte Menschen handelt, ist zweifelhaft
„Wer diese Seite liked, dem muss ziemlich fad sein“: Mit diesem Slogan warb HORIZONT fünf Tage lang auf Facebook um Fans. Natürlich nicht für die eigene Seite, sondern für eine eigens präparierte Facebook-Page, die außer dem erfundenen Namen „
Weigenale“ (ein Anagramm für „Langeweile“ und bei Google weltweit lediglich mit zwei Treffern) nichts zu bieten hat. Der Zweck der Übung: HORIZONT wollte herausfinden, ob mit Facebook-Werbung für eine völlig unbekannte, weil erfundene Marke, Klicks und Fans aufzutreiben sind. Die kurze Antwort: Ja, das funktioniert tatsächlich. Die spannendere Anschlussfrage: Wer steckt hinter diesen Accounts, die auf Facebook-Ads klicken, die eine völlig unbekannte, inhaltsleere Seite (siehe Bild rechts oben) bewerben? Die kurze Antwort: Wenn es schon keine Bots (automatisierte Programme) sind, die da auf „Like“ drücken, dann muss es sich um Facebook-Nutzer handeln, die wahllos alles anklicken, was ihnen vorgesetzt wird.
Verzwickte Optimierung
Doch der Reihe nach. Für das Experiment schaltete HORIZONT zwei Facebook-Kampagnen: Die erste warb für Likes für die Facebook-Page „Weigenale“, die zweite im Namen von Weigenale für Klicks auf eine externe Webseite, auf der lediglich zu lesen war: „Wie viele echte Menschen lesen das hier?“ Für beide Kampagnen wurden die von Facebook vorgeschlagenen Targeting- (Österreich, Deutschland, 13 Jahre Mindestalter, nach oben offen) und Abrechnungseinstellungen (optimierte CPM) übernommen. Hier dürfte der Hund begraben liegen: Facebook zeigt optimierte Kampagnen vor allem jenen Accounts, die besonders häufig auf „Gefällt mir“ klicken.
Die Anzeigen selbst wurden von HORIZONT so unattraktiv wie möglich gestaltet (siehe Bilder rechts): Die Facebook-Seite wurde ohne Logo mit dem vorgegebenen Standardbild beworben, die externe Webseite mit einem grauen Schriftzug (in der unbeliebten Schriftart Comic Sans inklusive Tippfehler) auf hellgrauem Grund ohne Slogan. Und trotz alledem: Die Facebook-Ads fuhren Ergebnisse ein. Für 100 Euro bekam die Facebook-Seite Weigenale 51 Likes (1,96 Euro pro „Gefällt mir“ bei insgesamt 15.907 Impressions), die externe Webseite erhielt für ebenfalls 100 Euro 524 Klicks (19 Cent pro Klick bei insgesamt 254.858 Impressions).
Fragwürdige FansWer also ist nun so verrückt, eine leere Seite einer erfundenen Marke per Like zu abonnieren? Auf den ersten Blick sehen die Profile dieser Nutzer relativ unverdächtig aus. Sie haben meist Beiträge in ihrer Timeline veröffentlicht, viele Facebook-Freunde und einige öffentliche Fotoalben. Doch nach genauerer Analyse wird man stutzig: Obwohl die Like-Kampagne nur in Österreich und Deutschland gelaufen ist, kommen einige der Profilbesitzer aus Afghanistan, Pakistan, Bulgarien, Kroatien, der Türkei oder dem Iran –möglicherweise Migranten, die ihren aktuellen Aufenthaltsort bei Facebook auf Österreich oder Deutschland umgestellt haben?
Rätselhaft sind auch die Like-Listen der Profile: Viele der per Facebook-Werbung erhaltenen Fans haben viele hunderte, oft sogar mehrere tausende „Gefällt mir“-Angaben. Im Schnitt hatten die Weigenale-Fans 1.840 Likes. Zum Vergleich: Der tschechischen Social-Media-Agentur Socialbakers zufolge haben Facebook-Nutzer durchschnittlich 40 Page-Likes (Stand April 2013). Diese Like-Sammlungen, unter denen sich auch Weiginale findet, sind skurril: Sportclubs, Banken, Tattoo-Seiten, Erotik-Pages, Parteien, Anwaltskanzleien, Internet-Dienste, die Nutzer haben sich offenbar wahllos durch Anzeigen und Seitenvorschläge bei Facebook geklickt. Fragwürdig ist dabei auch, warum eine vermeintliche Frau aus Budapest eine burgenländische Kleinpartei, warum ein Sizilianer einen deutschen Essenslieferdienst, warum ein in Kabul lebender Afghane einen Badner Schnitzelwirten liken sollte.
Klick-Farmen im VerdachtSo verschieden die neu gewonnenen Weigenale-Fans auch sind, seltsamerweise haben sie dann eines schon gemeinsam: In ihren Like-Listen tauchen immer wieder dieselben österreichischen und deutschen Parteien, Events, Firmen, Marken oder Medien auf, die oft so gar nicht zur der Person passen wollen, die Facebook-Fan von ihnen geworden ist. Wurde auf die Werbekampagnen dieser Unternehmen und Parteien genauso wahllos geklickt wie auf die Weigenale-Werbung?
Der US-Videoblogger Derek Muller hat im Februar 2014 in seinem mittlerweile berühmten YouTube-Clip „
Facebook Fraud“ eine ähnliche Beobachtung wie HORIZONT gemacht und per Facebook-Werbung für eine inhaltsleere Seite Fans aus Ländern wie Indien, Pakistan, Indonesien oder Bangladesch bekommen, die gleichzeitig Fans von tausenden anderen Seiten waren. Sein Verdacht: Die Likes stammen von Accounts, die unter der Kontrolle so genannter Klick-Farmen stehen, die etwa über Websites wie www.boostlikes.com Fans verkaufen (1.000 Likes für 70 Dollar, geliefert wird innerhalb von 15 Tagen). Damit sie aber nicht von den Facebook-Algorithmen als betrügerische Accounts identifiziert werden, liken sie auch Seiten, die nicht für Klicks gezahlt haben. Seine Conclusio: „Auf Facebook zu werben, ist Geldverschwendung.“
Dass die verdächtigen Klicks wirklich von betrügerischen Firmen im Ausland getätigt werden, lässt sich übrigens nicht nachweisen. HORIZONT hat wie beschrieben mit 100 Euro auch eine externe Webseite mit Facebook- Ads beworben und mit Analyse-Tools gemessen, wo die Klicks herkommen. Zwar kamen einige Zugriffe aus Afghanistan, Senegal oder der Türkei, doch mehr als 90 Prozent aus Österreich und Deutschland. Sollte es sich nicht um echte Menschen handeln, die von mitteleuropäischen IP-Adressen klicken, dann müssten die vermeintlichen Klick-Farmen ihre Herkunft mit VPN-Technologie oder Botnetzen tarnen.
Facebook entfernt Fake-LikesWoher die Fans und Klicks nun wirklich stammen, lässt sich am Ende nicht eindeutig feststellen. Optimierte Facebook-Kampagnen dürften jedenfalls Fans zweifelhafter Herkunft anziehen. Eine österreichische Agentur, die nicht genannt werden will, hat das Experiment ebenfalls durchgeführt und ist zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Fix ist in der ganzen Sache jedenfalls eines: Der Gewinner in dem Spiel heißt Facebook – die Firma hat mit dem Werbeexperiment 200 Euro verdient. „Fake-Likes helfen Facebook in keinster Weise. In den letzten zwei Jahren haben wir bewiesen, dass man mit Anzeigen auf Facebook echte Unternehmensziele erreichen kann“, so ein Facebook-Sprecher zum HORIZONT. „Damit Unternehmen einen stärkeren Fokus auf das Erreichen von Kampagnenzielen legen können, haben wir sogar unsere Anzeigenprodukte weiterentwickelt. Echte Erfolge können nicht mit Fake-Likes erreicht werden. Darüber hinaus verbessern wir stetig unsere Systeme zum Überprüfen und Entfernen von Fake-Likes."
Dieser Artikel war bereits in HORIZONT-Ausgabe 18/2014, die am 2. Mai 2014 erschienen ist, zu lesen. Zum Abonnement geht es hier lang.