Streaming: neue Player, neues Match
 

Streaming: neue Player, neues Match

Proxima Studio / Adobe Stock

Mit dem Launch von Apple+ und Disney tritt der Kampf um den globalen Streamingmarkt in eine neue Phase. Netflix und Amazon bekommen harte Konkurrenz, der Verdrängungswettbewerb startet. Plus: Wie Werber die Entwicklung sehen.

Dieser Artikel erschien auch in der Ausgabe 45/2019 des HORIZONT. Noch kein Abo? Hier klicken.

Die Konstellation Platzhirsch gegen neue Herausforderer, absurd anmutende Milliardeninvestitionen, ein immer noch rasant wachsender Markt, die Phantasie der Analysten, die globale Dimension: Zutaten, mit denen die zurzeit spannendste Story der Entertainmentindustrie geschrieben wird. Sie spielt im Silicon Valley und in Hollywood (wo sonst) und wirft lange Schatten bis in die heimischen Wohnzimmer. Ihr Ausgang: völlig offen. Die Ausgangslage jedenfalls ist bekannt. Der Streamingdienst ­Netflix hat seit 2007 das „Fernsehen“ neu ­erfunden, zählt mittlerweile 168 Millionen Kunden und wird nun von allen Seiten angegriffen: seit fünf Jahren von Amazons Prime Video (weit über 100 Millionen Kunden), seit 1. November vom neuen Streamingdienst Apple+ und nun folgte der „Mauskonzern“ Disney (einstweilen in den USA, Kanada und den Niederlanden und zum Start mit Problemen). 2020 geht dann HBO Max aus dem Hause WarnerMedia beziehungsweise AT&T online. Ebenfalls fürs kommende Frühjahr angekündigt: Peacock von NBC.

Globaler Wettlauf
Was die größten Medienkonzerne der Welt antreibt, sind die Prognosen, die bis in vier Jahren über eine Milliarde Menschen streamen sehen. Die Umsatzzahlen entwickeln sich entsprechend steil nach oben. Und ­Netflix‘ Gewinnzahlen vorläufig ebenso. 665 Millionen Dollar wies man beim jüngsten Quartalsbericht aus, bei 5,2 Milliarden Euro Umsatz. Der Börsenwert des Konzerns, der einst als Videoverleihdienst begann, hat sich seit 2002 übrigens um 25.000 Prozent nach oben entwickelt. So viel zur Phantasie der Märkte. Die über 20 Milliarden, die der Konzern in der Vergangenheit in Content, sprich teure Eigenproduktionen investiert hat, werden so schnell aber wohl nicht zurückverdient sein – und die neue Konkurrenzlage wird dabei nicht helfen. Apple+ und ­Disney+ starten nämlich mit extremen ­Dumpingpreisen (Apples Dienst kostet 4,99 Euro pro Monat) in die ­Auseinandersetzung, die am Ende wohl in einen Verdrängungswettbewerb und große Merger münden wird. Aber so weit sind wir noch nicht.

Vorerst geht es um die nächste Hitserie und prestigeträchtig teuer produzierten Content, wobei die einzelnen Player hier unterschiedliche Strategien fahren. Apple etwa startete zurückhaltend (siehe Story unten), will aber sechs Milliaden Dollar investieren und ein eigenes Filmstudio gründen. Disney+ wird sich ganz auf die Stärken seiner Hollywood-Studios verlassen und eigene Welten etwa um die „Star Wars“-Reihe oder seine Marvel-Blockbuster bauen. Nachteil für Netflix: Erfolgsbringer der Vergangenheit (etwa die TV-Serie „Friends“), die nicht aus eigener Produktion stammen, stehen nicht mehr zur Verfügung oder müssen überteuert bei der Konkurrenz eingekauft werden. Apple verzichtet dagegen auf die ­Lizensierung fremdproduzierter Serien und Filme – in einem schnell drehenden Markt ein gewisses Wagnis.

Regionale Folgen
Die Erschütterungen, die die gobalen Player mit ihren Angeboten erzeugen – Stichwort: geändertes Seherverhalten und mobiler TV-Konsum – sind natürlich längst auf dem heimischen Markt zu spüren. Der Bewegtbild-Markt verschiebt sich, vor allem in der jungen Zielgruppe, in Richtung Streaming. Laut aktuellster AGTT-Studie sehen zwar immer noch über 50 Prozent der 14- bis 29-Jährigen täglich TV, Videostream liegt aber schon bei 54,6 Prozent (der Großteil kommt hier von YouTube). Medienhäuser wie der ORF oder die private Konkurrenz ringen deshalb um Antworten und Gegenstrategien und wollen unter dem Druck der Giganten kooperieren. Der ORF sucht sein Heil in der verstärkten Produktion von original österreichischem Content und in einer eigenen Plattform, dem ORF-Player (noch in den Fesseln des ORF-Gesetzes). P7S1P4 streamt bereits über die Zappn-App beziehungsweise demnächst über die konzerneigene App von Joyn. RTL baut auf TV Now. Der Ausgang in diesem Match: ebenfalls völlig offen. 

Auswirkung auf Werbebudgets
Ein Aspekt, der hierzulande bislang wenig beleuchtet wurde, ist jener der Auswirkungen auf den regionalen österreichischen Werbemarkt. Die simple Überlegung: Reichweiten und Marktanteile der klassischen TV-Anbieter gehen über kurz oder lang in Richtung USA verloren – wie also ­werbemäßig darauf reagieren? Wichtige Mediaplaner des Landes bleiben freilich gelassen. Andreas Vretscha, CEO GroupM Austria, prognostiziert zwar, dass „lineares TV weitgehend vom non-linearen Videokonsum abgelöst werden wird, das wird aber noch dauern“. Entscheidend für die Kräfteverhältnisse zwischen linearen und non-linearen Abietern seien einzig und allein der Content und der Preis dafür. Dass Werbegeschäft verloren gehe, sieht er nicht, sondern seine Aufgabe gerade darin, „andere Touchpoints zu ­instrumentalisieren, um die Schwäche des linearen TV ­auszugleichen“. Auch Andreas Weiss, CEO Dentsu Austria, „macht sich keine Sorgen“ und verweist auf „eine holistische, kanalübergreifende ­Bewegtbild-Planung“. Bei klassischen, linearen TV-Sendern sieht er in zehn Jahren dennoch 30 Prozent ihres Kerngeschäftes verloren. ­Herbert Marchl und Michael Göls von Havas Media nehmen „noch keinen spürbaren Einfluss auf Werbeumsätze wahr“.

Allerdings: Die evaluierenden Mess- und Planungsinstrumente seien auch noch nicht etabliert. Und werden ­Netflix und Co irgendwann selbst werbefinanziert sein? Dazu Christoph Purkart, Director of Performics bei Publicis Media: „2018 gab es bereits erste Tests seitens Netflix, hier wurde Eigenwerbung zwischen den Inhalten geschaltet. Wir schätzen, dass sich mittelfristig ein Misch-Modell im ­Streamingmarkt etablieren wird.“ Vorteil für die Streamer laut Weiss: „Gerade sie können die generierten Daten für individualisierte Werbung nutzen.“

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