Startschuss für Twadvertising
 

Startschuss für Twadvertising

Twitterstreams mit Werbebotschaften zu bepacken ist verlockend. Blogger warnen und fürchten Spamflut.

New York. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis einer damit anfängt. Seit Monaten sitzen Werber frustiert neben den steigenden Reichweitenzahlen von Twitter, Facebook und Blogs und müssen zusehen, wie Millionen von Menschen untereinander interagieren, sich Meinungen über diesen Film und jenen Schuh, über diese Sendung und jenen Kaugummi austauschen. Eigentlich ein Eldorado für jeden Marketer, schließlich wissen wir, dass eine persönliche Empfehlung hohes Vertrauen und meist auch hohe Relevanz beim Empfänger genießt und damit um ein vielfaches wertvoller weil aufmerksamkeitsstärker ist als eine bezahlte Anzeige, ein gekaufter Spot in einem Medium. Und dennoch ist die Werbung bisher eher Zaungast geblieben.

Ein Artikel in der New York Times hat vergangene Woche jedoch aufhorchen lassen. Da hat ein Internet-Unternehmer aus Vancouver doch tatsächlich erzählt, er habe seinen persönlichen Twitter-Stream bestehend aus 50.000 Followern immer wieder mit bezahlten Werbebotschaften bestückt – für 200 US-Dollar je Ad. Im Oktober belief sich sein Einkommen mittels Twadvertising (Advertising via Twitter) bereits auf 3.000 Dollar. „Ich werde dafür bezahlt, ein Knöpfchen zu drücken“, erklärte der Unternehmer keck.

Influencer-Marketing 2.0

Offenbar eine bereits beliebt bewährte Praxis von Firmen wie Ad.ly, Izea.com oder Peer2.com. Sie haben einflussreiche Twitterer im Visier, User mit vielen Followern, am besten Promis, über die in der Tat mit einem Knopfdruck auf einen Schlag hunderttausende Zuhörer erreicht werden – mit der erhöhten Aufmerksamkeit wie es bei persönlichen Empfehlungen einer Person des eignen Vertrauens üblich ist. Das kann ein „harmloser“ gesponserter Tweet sein, das kann aber auch eine handfeste vorgefertigte  Werbebotschaft sein, wie wir es zum Beispiel von Anzeigen in Newslettern kennen. Die Vermarkter kassieren dabei zwischen 15 und 50 Prozent des eingesetzten Werbebudgets. Blogsphäre und Twittergemeinde liefen Sturm ob dieses Gebahrens und machten mobil gegen den „Twitter-Spam“: „So was zerstört doch das Vertrauen und die Beziehung zu deinen Freunden und deiner Audience, wenn sie deinen Worten nicht mehr trauen können“, schreibt ein Blogger, für den das ganze nur eine Konsequenz hat und die heißt: „to unfollow“.  In einem anderen Forum wird davor gewarnt, Geld als einzige Währung im Social-Web zu betrachten: Twitter-Ads rauben die Aufmerksamkeit und zerstören das Vertrauen – das sei doch genau das Gegenteil von dem, was die Werbung brauche. „Deshalb, Werber: Add Value, don’t interrupt! (Fügt Wert für die User hinzu und stört sie nicht)“. Schon in Sachen Werbeposting galten die Praktiken der Blog-Marketing-Firma PayPerPost, Produkte gegen Geld möglichst nebenbei in den eigenen Einträgen zu erwähnen, als höchst verpönt.

Userschwund auf Twitter

Eine harmlose Form, um die Twitterstreams werblich zu nutzen, hat Amazon bereits ins Leben gerufen. Mithilfe des bereits aus dem Web bekannten Affiliate-Partnerprogramms, wird jeder, der einen Kommentar über ein Buch oder eine CD schreibt und dort für kaufinteressierte einen direkten Link zu Amazon anfügt, bei einem tatsächlichen Kauf anteilsmäßig beteiligt. Andere Anbieter wie Likes.com drehen den Spieß um. Sie ermutigen Blogger und Twitterer ihre persönlichen Meinungen und Erfahrungen mit einem Kinofilm, einem Buch oder einem Restaurant kundzutun. Marketer können so zum einen sehen, wem welche Produkte wie gefallen haben oder auch nicht und wie relevant diese Rezensionen für ihre Follower waren, sprich inwieweit sie weiterverlinkt wurden. Bezahlt wird der Autor nach Ad oder Click.Ob diese neue Form der Schleichwerbung  beziehungsweise des Influencer-Marketings via Twitter der ausschlaggebende Grund für den akuten Userschwund auf der Microblogging-Plattform ist, bleibt dahingestellt. Fakt ist aber, dass die Userzahlen auf Twitter laut Nielsen im Oktober um fast ein Drittel im Vergleich zum Vormonat zurückgegangen sind. Zweifler sehen darin erste Anzeichen, dass Twitter bereits seine Blütezeit hinter sich habe. Technik- und Messfreaks begründen die sinkenden Zahlen mit nicht berücksichtigten Zugriffen über Applikationen dritter sowie durch die mobile Nutzung. Wieder andere sehen in Twitter nach wie vor die nächste Kulturtechnik, deren Zenith noch lange nicht erreicht sei, weil der Mainstream, vor allem hierzulande, sich noch nicht damit befasst. Es bleibt spannend.



stats