Social Media-Departments werden obsolet
 

Social Media-Departments werden obsolet

#

CNN-EMEA-Chefredakteurin Deborah Rayner erzählt im HORIZONT-Interview, wie das News-Network mit den neuen Medien umgeht und warum alle Journalisten dabei in die Pflicht genommen werden.

Erschienen in HORIZONT 15/13, gekürzte Fassung

HORIZONT: Frau Rayner, wann immer man Interviews mit Ihnen liest, geht es stark um das Thema Social Media. Wie sehr haben die sozialen Netzwerke das Dasein der News-Reporter verändert?

Deborah Rayner: Das ist nichts, wo­rüber ich von mir aus immer sprechen will, sondern wonach ich immer gefragt werde. CNN hat von Beginn an ­Social Media mit offenen Armen empfangen, und es war immer klar, dass man das machen sollte, um mit einem internationalen Publikum und auch ­einer jüngeren Zielgruppe im Dialog zu bleiben. Wir haben auch sehr früh ­erkannt, dass wir eine eigene Social-Media-Plattform brauchten, um die Leute zu erreichen. Wir haben daher iReport geschaffen.

HORIZONT: Auf iReport können Seher Profile erstellen und Videos oder Storys hochladen. Wie funktioniert der Dienst in der Nachrichtenpraxis?

Rayner: iReport ist eine genuine Plattform, auf der man Videos, Fotos, Kommentare oder Blog-Einträge posten kann. Innerhalb der CNN-Redaktion gibt es ein Team, das die Inhalte ansieht und überprüft. Wir suchen interessante Beiträge aus und bauen sie in unsere Berichterstattung im TV und online ein. Einmal in der Woche zeigen wir eine halbe Stunde lang iReports im TV. Es gibt Millionen von „iReportern“ weltweit. Als etwa die Krise in Zypern stattfand, hatten wir die Möglichkeit, Augenzeugenberichte abzurufen. Im Iran 2009 funktionierte iReport her­vorragend. Wir können iReports von überall abfragen und um Zusendungen bitten.

HORIZONT: Die BBC hat im Newsroom ein eigenes Social-Media-Team sitzen, das zuerst alle wichtigen Nachrichten auf Twitter & Co. verbreitet. Wie funktioniert das bei CNN?

Rayner: Wir haben eigene Leute für Social Media und Online-Agenden. Sie durchsuchen Social Media nach guten Geschichten, sehen sich an, was gerade diskutiert wird und „trending“ ist. Wir bringen unsere eigenen Storys natürlich auch auf soziale Medien und binden unser Publikum ein. Allerdings:  Ich glaube, dass die Zeiten, in denen man ein Social Media Department gebraucht hat, zu Ende gehen. Es ist heute jedermanns Verantwortung, auf Social Media zu sein und sie zu nutzen. Wir handhaben das auch so. Es ist ja sehr simpel: Man twittert nichts, das den ­redaktionellen Regeln widerspricht. Es ist also sehr einfach, es zu einem Teil des eigenen Jobs zu machen. CNN ist außerdem für Breaking News die größte Marke auf Social Media. Wir ­haben auf Twitter mehr als zehn Millionen Follower. Das alles hat unseren Newsroom natürlich verändert: Wir haben mehr Daten auf den Schirmen, wir haben Feeds, die uns anzeigen, was „trendig“ ist, unsere digitalen Producer sind sehr versiert, was diese Dinge angeht. Man muss auch kreativ sein, um das ins Fernsehen zu übertragen.

HORIZONT: Wann ist für CNN klar geworden, dass Social Media ein Bestandteil des Journalismus werden?

Rayner: iReport hat 2006 begonnen. Das war der Startschuss dafür, User-­generated Content hervorzuheben und mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Ich kann mich heute nicht mehr an eine Zeit ohne Twitter erinnern (lacht), aber Facebook war unser erstes großes Engagement. Das war 2008. Das Ganze ist mittlerweile sehr tief verwurzelt in unserer Kultur.

HORIZONT: Hat US-Präsident Barack Obama mit seinem ersten Wahlkampf  im Jahr 2008 das Feld für Social Media aufbereitet? Er war ja der erste Politiker, der damals soziale Netzwerke im großen Stil für sich eingesetzt hat. Hat das die Newsrooms auch geändert?

Rayner: Ich würde nicht Obama dafür verantwortlich machen, dass die Social-Media-Revolution im Journalismus stattgefunden hat. Aber ich glaube, es hat jedermann die Möglichkeiten aufgezeigt, die diese neuen Medien ­haben. Wir als CNN haben zwar keine Wahl zu schlagen, aber für uns ist es eine Möglichkeit, junge und breitere Zielgruppen anzusprechen. Es ist eine Form des Dialoges, statt nur vorzu­tragen. Ich würde Obama jedenfalls nicht als Ursache für die Social-Media-Revolution sehen wollen.

HORIZONT: Wie groß war der Impact von sozialen Netzwerken im Arabischen Frühling rückblickend wirklich?

Rayner: Social Media waren essenziell für die Geschwindigkeit der Revolution, aber natürlich hat alles mit Hunger, Wut und Verzweiflung begonnen, mit Selbstverbrennungen – nicht mit einem Tweet oder Facebook-Post. Es waren sehr ernste soziale und wirtschaftliche Probleme, die in der ganzen Region vorherrschten.  Ich glaube, dass diese Länder bereit für den Wandel ­waren.

HORIZONT: In Syrien wird die Situation für Journalisten Tag für Tag gefährlicher. Kürzlich ist ein Reporter der ARD angeschossen worden. Wie gehen Journalisten und die Redaktion mit den ­Gefahren dort um?

Rayner: Es ist wahnsinnig gefährlich. Wenn wir von Syrien sprechen: Es ist ein Polizeistaat, entsprechend ist es auch üblich, zu spionieren und Argwohn zu hegen. Unsere Journalisten sind sehr mutig, dort zu arbeiten. Was in solchen Extremsituationen aber ­positiv ist: Die Journalisten treffen ei­nander, um Informationen auszutauschen und einander zu helfen. Da spielt es keine Rolle, ob der Journalist von CNBC, CNN oder BBC ist. Sie sind gemeinsam da. Die Situation ändert sich auch ständig: Man kann nicht nach vier Monaten in das Land zurückkehren und darauf bauen, dass alles gleich ist wie davor. Unsere Leute sind daher täglich in Kontakt mit ihren Informanten, von Dorf zu Dorf. Es ist umfangreich und riskant. Aber man kann damit nicht aufhören: Die Story muss erzählt werden. Wir sind aber auch im Irak, im Libanon, in Jordanien, wo wir über Flüchtlinge berichten. Aus Syrien selbst zu berichten ist sehr riskant für eine Marke wie CNN. Durch Social ­Media ist es sehr leicht, uns ausfindig zu machen. Die Technologie kann in manchen Bereichen sehr hilfreich sein – hier ist sie riskant. Aber wir sind sehr erfahren und sehr vorsichtig. Wir teilen auch so viele Informationen wie möglich mit anderen Journalisten – Competition hin oder her. Wir haben für die Syrien-Berichterstattung üb­rigens den renommierten Peabody Award gewonnen und wurden mit anderen Preisen dafür ausgezeichnet, den „Menschen, nicht den Kugeln“ zu folgen.
stats