Sind Leserkommentare den Aufwand wert?
 

Sind Leserkommentare den Aufwand wert?

Kolumne von Walter Braun.

Ein paradoxer Medientrend ist der Wunsch, sich von Onlinelesern waschen zu lassen, aber nicht nass werden zu wollen. Man möchte, dass die werte Kundschaft sich beachtet fühlt und räumt daher Kommentarmöglichkeiten ein. Reichlich Ärger ist die unerwünschte Folge: Dauerangefressene, prinzipielle Störenfriede, unerwünschte PR- oder Verkaufsversuche, bisweilen Staatspropaganda (zum Beispiel aus Russland in Form getürkter Leserzuschriften oder geballter Zustimmung zu abwegigen Ansichten).

Der Missbrauch hat sich so verschlimmert, dass England und Wales nun zusätzliche gesetzliche Richtlinien gegen Trolling beziehungsweise Veröffentlichung privater Daten einführen. Die britische Polizei führt den scharfen Anstieg von Gesetzesverstößen in den vergangenen zwölf Monaten im Wesentlichen auf Internetverbrechen zurück. Leserengagement sollte also gemanagt werden.

Bisher gab es vier Reaktionen: (I) Augen zu und durch – da kann aber leicht die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten oder können Leser verprellt werden; (II) Drittanbieter wie Disqus zwischenschalten (oft kostengünstiger als ein eigenes Team); (III) mittels Software bestimmte Reizworte herausfiltern – technische Lösungen haben auch ihren Preis, da gewitzte Hasslieferanten blockierte Worte einfach umschreiben; und (IV) die Nachrichtenleiste sauber halten und den Kommentarbedarf der Leser in Richtung Sozialmedien abschieben.

Gerade diese Lösung hat heuer eine Reihe von Medien gewählt. Einer Umfrage der World Association of Newspapers and News Publishers zufolge ist eine überwiegende Mehrheit der Verleger positiv zu Leserkommentaren eingestellt; zwei Drittel mussten aber zugeben, dass ihre Journalisten Ziel von Gehässigkeiten werden.

Daher lässt die Süddeutsche Zeitung nur noch moderierte Zuschriften bei ausgewählten Themen zu. Doch Moderation kostet Zeit und Geld. Selbst die gut finanzierte New York Times gestatten Kommentare bloß bei zehn Prozent ihrer Geschichten.

Die Financial Times halten sich ein Moderatorenteam auf den billigen Philippinen. Intelligente Leserzuschriften erhalten am ehesten analytische Artikel, gefolgt von Meinungskolumnen. Hier kommt die positive Seite von externen Anmerkungen zutage: Leser helfen bisweilen, Geschichten weiterzuentwickeln. Kunden Wege zu unmittelbarer Rückmeldung einzuräumen, sollte beibehalten werden; aber nur auf gut kontrollierte Weise, sonst werden Medien zu Abstellplätzen von Frust und Hass.

[Walter Braun]
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