Russmedia-Geschäftsführer und "VN"-Chefredakteur Gerold Riedmann über Digitalstrategien, Messinstrumente und die Konkurrenz von "Krone" und ORF.
HORIZONT: Laut Media-Analyse wurde der 15 Jahre währende Abwärtstrend gestoppt, die "VN" konnten in Vorarlberg von 2014 auf 2015 um 1,8 Prozentpunkte zulegen und halten nun bei 49,3 Prozent Reichweite. Wie erklären Sie sich das?
Gerold Riedmann: Diese Betrachtung lässt unser digitales Wachstum völlig außer Acht. Russmedia erreicht auf täglicher Basis über 93 Prozent der Vorarlberger – auf Papier, digital und im Radio. Zudem ist die Bundesländerreichweite der "VN" eine der höchsten im Zeitungsbereich. Inhaltlich konzentrieren wir uns seit einem Jahr sehr auf Relevanz. So hat die Redaktion Maßgebliches aufgedeckt, beispielsweise den Müllskandal von Häusle. Auch das Rücktrittsgespräch mit Michael Grahammer von der Hypo Vorarlberg konnte man nur in der VN lesen.
Heißt das Rezept also journalistische Leidenschaft und Aufdeckerwille?
Es ist dieses journalistische Lagerfeuer, das wir jeden Tag neu entzünden wollen. Das hat mit Leidenschaft und journalistischen Tugenden zu tun. Wenn ich Produktionsmechanismen mancher Medienhäuser betrachte, wo ganz beiläufig auch noch eine Zeitung entsteht, liest sich solch ein Produkt eben anders, als wenn ein engagiertes Team eine Zeitung rausbringt, die bei uns zu 90 Prozent in Print- und zu zehn Prozent in digitaler Form gelesen wird. Damit das Lagerfeuer flackert, sind Handwerk, Aus- und Fortbildung notwendig. Wir hatten vergangenes Jahr Workshops mit der Zeitenspiegelschule, haben mit dem Forum Journalismus und Medien Wien (fjum) Initiativen gesetzt und mit dem ORF einen Virtual-Reality-Workshop veranstaltet. Weitere Notwendigkeiten sind Experimentieren, neugierig bleiben, Investition in Innovationen und Marketing.
Ist die "VN" eine Zeitung auf dem raschen Weg in die digitale Zukunft?
Die "VN" war lange Zeit allein eine Zeitung auf Papier, die Marke "VN" ist aber nicht ans Papier gefesselt. Wir haben einen Chefredakteursnewsletter gestartet, ein E-Mail, das jeden Morgen 30.000 User – Abonnenten und Nicht-Abonnenten – erreicht, gesendet und auch geschrieben vom Chefredakteur. Vorbild waren "Handelsblatt" und "Tagesspiegel", die damit ihre Leser-Blatt-Bindung enorm stärken konnten. Man muss seiner Marke treu bleiben: Die "VN" ist ausgabenbasiert und kein Twitter-Feed, der rund um die Uhr blinkt. Momentan haben wir eine Morgen- und eine digitale Abendausgabe.
Was halten Sie anlässlich des Radiotest-Dilemmas von den Messinstrumenten in Österreich? Wohin sollte es gehen?
Wohin es geht, sehen wir bei der Österreichischen Webanalyse (ÖWA). Ich bin überzeugt, dass diese, teilweise auch die ÖAK, die einzige Statistikzentrale ist, die sich so stark auf tatsächliche Messungen stützt – von durchschnittlichen Verweildauern bis hin zur Quelle des Traffic. Bei der Media-Analyse (MA) gehts mir besser als beim Radiotest, denn obwohl sich Dienstleister überschneiden, sind bei der MA im Gegensatz zum Radiotest mehrere Institute eingebunden. Die Glaubwürdigkeit mag in der Branche angekratzt sein, aber Faktum ist, dass international übliche Standards gelten und dass wir eine Möglichkeit brauchen, um festzustellen, wie viele Menschen erreicht werden.
Im Gegensatz zur Auflagenkontrolle beschränkt sich die MA noch auf Print. Reicht das?
Es ist notwendig, die digitalen Medien auch in einer Printerhebung nicht zu diskriminieren, sondern sie als Wachstumsmarkt in der Gesamtbranche zu begreifen, deshalb sollte die Reichweite einer Marke medienübergreifend erhoben werden – wenn Inhalt und Anzeigen ident sind. Das heißt, die Erfassung der Gesamtreichweite der Vorarlberger Nachrichten vom E-Paper bis zur gedruckten Tageszeitung. Zum Portfolio gehört auch die neue "VN" für alle, die jeden Samstag an alle Haushalte geht und ein erhebliches Investment in Print beinhaltet. Markenverantwortliche benötigen solche kombinierten Reichweiten, um ordentlich arbeiten zu können.
E-Paper, vol.at, mobile – wie verteilt sich der Umsatz?
Ein Drittel des Gesamtumsatzes ist digital. Allerdings ist unser Fokus auf das digitale Wachstum der "VN" gerichtet. Das Preisniveau der "Vorarlberger Nachrichten" im Netz bewegt sich auf vergleichbarem Preisniveau wie die gedruckte Ausgabe. Das einzige Gratisangebot der "VN" ist neben einer Lesekostprobe der Chefredakteurs-Newsletter. Wir setzen auf Anzeigen und Abonnementerlöse. Anders wäre es nicht anbietbar, und Inhalt, den wir für die Zeitung erstellen, kostenlos an einer anderen Vertriebsstelle herzugeben, ist kein tragbares Modell. Deshalb gibt es vol.at als Gratismarke, und diese Digitalmarke ist mit mehr als 80 Prozent Reichweite als Dachangebot Spitzenreiter im Verbreitungsgebiet. Das Wachstum ist laut ÖWA rasant, jährlich zweistellig, trotz hoher Marktsättigung.
Sie haben "VN" für alle als Print-Investment angesprochen, war das eine Reaktion auf die neuerliche Konkurrenz der "Kronen Zeitung"?
Nein, für uns geht es hier um ganz etwas anderes. "VN" für alle ist eine Leseprobe aus aktuellen Geschichten der "VN"-Redaktion und enthält den Stellenmarkt. Mit diesem erreichen wir wesentlich mehr Interessenten als das konzentriert mit einem Suchagenten im Internet möglich ist. Und gleichzeitig führt die "VN" für alle hin zur Marke. Daher tun wir viel dafür, um diese Leseprobe an die Haushalte zu bringen. Außerdem nehmen die Werbekunden das Angebot stärker an als in unseren kühnsten Erwartungen.
Spüren Sie die aufgerüstete "Krone"-Konkurrenz?
Wir haben hier seit Jahren einen publizistischen Wettbewerb mit dem ORF Vorarlberg – und verstehen jeden Wettbewerb als Motivation, uns weiter zu verbessern. Auch im digitalen Bereich. Der ORF ist der Marktbegleiter, den wir am ernstesten nehmen, schon deshalb, weil es sich um ein elektronisches Medium mit Geschwindigkeitsvorteilen handelt. Wir stehen auch auf Zeitungsebene mit größeren Redaktionen im Wettbewerb als mit jenem Team der "Krone". Beispielsweise mit der "Neuen Vorarlberger Tageszeitung". Das klingt für Außenstehende ungewöhnlich, aber es gibt tatsächlich keine redaktionellen Berührungspunkte zwischen diesen beiden Russmedia-Zeitungen. Das heißt, von den Marktbegleitern gibt es einige, die für uns relevanter sind als die "Krone".
Weg von der Konkurrenz, hin zu Kooperationen: Welche pflegen Sie?
Auf redaktioneller Ebene pflegen wir die Zusammenarbeit mit befreundeten Qualitätszeitungen in Österreich. Gemeinsam mit der "TT", den "SN", den "OÖN", der "Kleinen Zeitung" und der "Presse" bilden wir eine Art Sixpack. Jüngstes Beispiel sind die Bundespräsidentenwahlen, wo wir eine gemeinsame Videokooperation auf die Beine stellen. Beim ersten Wahlgang verbuchte der Livestream 370.000 Views. Vor einer Woche brachten wir live im Grazer Stadtsaal die Konfrontation der beiden Stichwahlkandidaten. Es war das einzige Kandidatenduell außerhalb Wiens, und am Sonntag sind wir live dabei, wenn es um die Entscheidung geht. Hinsichtlich strategischer Kooperationen wenden wir uns weiterentwickelten Märkten in den USA oder auch Skandinavien zu. Was wir dort lernen, setzen wir für uns ein und um, bieten sie aber auch Partnerverlagen unter unserem Label "Russmedia Solutions" an. Dazu gehört beispielsweise die Software, auf der vol.at als Reichweitenportal läuft, und die wir als schlüsselfertige Lösung anderen Verlagshäusern wie den "Salzburger Nachrichten" mit Salzburg24.at oder der NZZ-Mediengruppe offerieren. Immer mehr Medienhäuser stellen fest, dass sie neben ihrer Zeitungsseite, wenn sie diese kostenpflichtig machen, zusätzlich ein Reichweitenportal brauchen. Da eignet sich Wordpress als sehr schlankes System sehr gut. Das haben wir für Verlage angepasst, und das ist in Kooperation sicher sinnvoll. Das "VN"-Bürgerforum zum Beispiel läuft als Alarm 38 bei der Funke-Mediengruppe in Braunschweig und hat dafür einen Lokaljournalismuspreis erhalten. Schließlich zähle ich zum kooperativen Bereich auch mein Engagement bei der International News Media Association und beim Global Editors Network, der internationalen Vereinigung der Chefredakteure.
Wie lautet Ihre Zwischenbilanz der Wahl-Kooperation?
Wir sehen die großen Chancen, die Web-TV und Mobile-TV bieten. Es macht auch Spaß aufzuzeigen, dass die Grenzen immer mehr verschwimmen. Wir brauchen sicher als Medienunternehmen in der Zukunft noch sehr viel mehr Videokompetenz, gerade was hochformatiges Video betrifft, denn auf dem Handy schaut niemand mehr quer. Und es wäre auch fahrlässig, wenn wir nicht Video machen würden, denn der ORF produziert umgekehrt gesehen ja auch Text auf orf.at.
Wird 2016 das große Jahr der Bezahlschranke?
Ich würde mich über jeden Mitstreiter freuen, der erkennt, dass sein Inhalt Geld wert ist. Die Umsetzung hängt in Österreich allerdings auch sicherlich davon ab, wie viel der in den anderen Bundesländern marktführende orf.at weiterhin kostenfrei zur Verfügung stellt.
Über Gerold Riedmann
Der gebürtige Rankweiler Gerold Riedmann (1977) ist nicht nur Geschäftsführer der Russmedia Digitalsparte, sondern auch seit einem Jahr Chefredakteur der "Vorarlberger Nachrichten". Riedmann erlernte ab 1996 beim Sender münchen.tv/Sat1 Bayern das journalistische Handwerk, war auch Moderator bei Radio Gong München. Ab dem Jahr 2000 erarbeitete er als CR der Cross-Media-Agentur AME Digitalprojekte für Bayerischen Rundfunk und "FAZ". Als er wieder ins Ländle kam, übernahm er von 2007 bis 2011 die Funktion des Vize-Chefredakteurs bei der "VN", wurde als Vorarlberger Journalist des Jahres 2009 ausgezeichnet und 2010 in die Top zehn der Investigativ-Journalisten Österreichs gereiht. Vor fünf Jahren absolvierte Riedmann das Media Executive Leadership Programme der Medill School of Journalism und der Kellogg Business School, trat in die Geschäftsführung der Russmedia ein, deren Digitalsparte er leitet. International wirkt Gerold Riedmann im Vorstand der INMA (International News Media Association) und der Chefredakteursvereinigung GEN (Global Editors Network) mit. Der GEN Summit findet heuer, 15. bis 17. Juni, in Wien statt.[Antje Plaikner]