"Niemand zahlt für News-Content"
 

"Niemand zahlt für News-Content"

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Golem.de-Chefredakteur Benjamin Sterbenz (Ex-Kurier) spricht im Interview über das neue werbefreie Abomodell der IT-Newsseite, die Unverträglichkeit von Paywalls mit dem offenen Internet und native Werbung

HORIZONT: Sie haben vor kurzem mit “Golem pur” ein werbefreies Abomodell gestartet. Ab 2,50 Euro pro Monat bekommt der User eine Webseite ohne Anzeigen. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschlossen?

Benjamin Sterbenz: Der Schritt ist eine Reaktion auf die Adblock-Debatte. Nachrichten-Magazine, die über IT & Technik berichten, sind mit einer Leserschaft konfrontiert, die genau weiß, wie Werbung umgangen werden kann. Im Vergleich zu General-Interest-Medien sind bei uns die Block-Raten mindestens doppelt so hoch. Wir haben vergangenes Jahr gemeinsam mit Spiegel Online, FAZ, SZ und Zeit Online dazu aufgerufen, den Adblocker zu deaktivieren. Ein Argument, dass wir immer wieder hörten: Nein, aber wenn ich für Golem.de zahlen könnte, würde ich das stattdessen tun. Nun gibt es diese faire Alternative. HORIZONT: Wie viel Prozent der User sind bis dato bereit, für “Golem pur” zu zahlen? Sterbenz: Aktuell kommunizieren wir keine Zahlen. Wir warten die ersten Monate ab, um valide Informationen nennen zu können. Mit Abo-Verlängerungskündigungen, Widerrufsrecht und anderen Buchungsanfragen kann sich da noch etwas verschieben. So viel sei aber verraten: Es deutet alles auf das klassische Verhalten beim Freemium-Modell hin. Eine Conversion-Rate von 1-2 Prozent scheint realistisch. Wobei im Gegensatz zu Apps mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Das Konzept, für Nachrichten im Netz Geld zu zahlen ist für viele nicht selbstverständlich. Es fällt kein Druck oder Vertrieb an, die Infrastrukturkosten werden als minimal eingeschätzt. Wir bieten auch keine Goodies und ähnliches an. Dass da Redakteure sitzen und schreiben, wird nicht so wahrgenommen. HORIZONT: Wie viel Prozent des Umsatzes kann das Bezahl-Modell beitragen? Was ist Ihr Ziel für das Jahr 2014? Sterbenz: Der Anteil ist klein. Wir sehen das als eine von vielen Säulen, die helfen, die Zukunft von Golem.de zu sichern. Aus aktueller Sicht ist es illusorisch, 100 Prozent der Leser zum Abo zu bewegen. Aktuell freuen wir uns über einen guten Start und über jeden neuen Leser, der sich für das Abo entscheidet. Wenn die Wachstumsraten stabil bleiben, werden wir Ende 2014 zufrieden sein. HORIZONT: Bei Golem pur wird es ausdrücklich keine Paywall, keinen Paid Content geben, die User zahlen für Werbefreiheit und Zusatzfunktionen. Warum bleibt der Content, das Hauptprodukt des Verlags, gratis? Sterbenz: Niemand zahlt für Nachrichten-Content. Das ist eine Illusion. Wer was anderes glaubt, ist naiv. Jede Nachricht finde ich auf zig anderen Portalen, es gibt immer eine Alternative. Jener Content, der hinter einer Paywall steckt, wird von der Konkurrenz paraphrasiert als News reproduziert. Hinzu kommt, dass es immer Öffentlich-Rechtliche Portale gibt, die Nachrichten kostenlos anbieten. Schließlich gibt es im Netz unendlich viele exzellente Artikel. Alleine meine Leseliste wächst schneller, als dass ich sie abarbeiten kann. Wenn ich auf Paid Content stoße, lasse ich das bleiben und widme mich einem der anderen tollen Artikel. Oder lese ein Buch, gehe auf Facebook oder auf YouTube. Damit stehen Artikel auch in Konkurrenz. Wir wollen die limitierte Aufmerksamkeit der Leser. Eine Paywall ist nur eine Hürde. HORIZONT: Auch Krautreporter.de wird den Content gratis anbieten und zahlenden Unterstützern Zusatzfunktionen bieten. Ist Paid Content überhaupt möglich in einem Umfeld, in dem es Millionen Inhalte gratis gibt? Sterbenz: Paywalls entsprechen nicht dem Internet-Gedanken. Das Netz ist da zum Teilen und zum Informationsaustausch. Da haben es klassische Nachrichten schwer. Bereitschaft zum Zahlen sehe ich nur bei Reports oder Business Intelligence, nicht aber bei normaler Berichterstattung. Es muss sich an eine Nische richten, extrem tiefgreifend und gut recherchiert sein. Im Netz setzt sich entweder Schrott durch oder hohe Qualität. Für alles zwischen diesen Extremen wird es schwer. Ersteres kann man günstiger produzieren, muss dafür aber auf jeden neuen Trend aufspringen. Letzteres braucht wiederum extrem gute Journalisten mit Fachwissen sowie Zeit. Das ist sind Investitionen, die man sich leisten muss, die zudem nur mit langfristigem strategischen Denken zum Ziel führen. HORIZONT: Aus Sicht der Werbebranche ist das neue Angebot möglicherweise ein seltsames Signal, wenn sich Leser von Werbung freikaufen können. Welche Auswirkungen auf das Werbegeschäft erwarten Sie? Sterbenz: Niemand in der Werbebranche muss um seinen Job bangen. Es wird nur ein kleiner Prozentsatz bereit sein, zu zahlen. Das ist auch okay. Golem.de setzt sich seit Jahren für Werbung ein, die nicht so schrill ist. Wir untersagen Overlays und andere invasive Formen. Unseren Lesern ist aber selbst das reduzierte Angebot zu viel. Sie wollen statische Bilder, am besten in einer dezenten Farbe und klein. Wie für eine Tech-Leserschaft üblich, verachten sie jegliche Form der Überwachung und des Trackings. Mit dem Abo bekommen unsere leidenschaftlichen Leser genau das, was sie sich gewünscht haben. Das Abo ermöglicht uns wiederum, gewisse Sachen umzusetzen, ohne dabei auf die Werbevermarktungskette Rücksicht zu nehmen. Wie in jeder großen Branche braucht ein Umdenken Zeit. Mit dem Abo können wir jetzt schon mit Neuerungen und Innovationen beginnen.

HORIZONT: Die große Mehrheit Ihrer Leser wird bei der werbefinanzierten Gratisversion bleiben. Welche Werbestrategie fahren Sie da? Native Ads poppen derzeit überall auf - auch bald auf Golem.de? Sterbenz: Native Ads sind ein Trendbegriff. Das ist nichts Neues. Nehmen Sie ein Tageszeitung oder ein Magazin aus den vergangenen zehn Jahren in die Hand. Mit Sicherheit finden Sie gute Artikel, bei denen in Schriftgröße 5 „Extra“ oder ähnliches steht. Dass es so etwas auch im Internet gibt, ist doch nur logisch. Der Aufruhr kommt nur daher, weil manche Verlage das verschlafen haben und das von jungen US-Medien zentralistisch besetzt wird. Die drücken die Preise, haben viel Reichweite und sind für werbende Großkonzerne mit Millionen-Werbebudget natürlich interessanter als eine nationale Tageszeitung im Netz. Diese Newcomer haben das Problem gelöst, worüber alle anderen seit Jahren geredet haben: Niemand klickt – absichtlich - auf Banner. Wenn man sich die Zahlen von Buzzfeed oder Vice ansieht, funktioniert das gut. Dahinter steckt aber auch viel Arbeit und Kommunikation mit dem Werbekunden. Da sind die US-Medien im Vorteil, da viele globale, geldkräftigen Konzerne in den USA ihr HQ haben und man dort grundsätzlich mehr ausprobiert. Die Überzeugungsarbeit zu leisten, so eine betreuungsintensive Kampagne zu wagen, ist einfacher. Im Idealfall trifft sich ja der Service-Redakteur einmal pro Woche mit dem Werbenden und bespricht, wie man Themen umsetzt. Das erfordert Zeit und Offenheit. Wenn sich eine Firma dazu entscheidet, so etwas mit Golem.de zu machen, warum nicht? Allerdings muss die Qualität stimmen. Und natürlich wird das alles nicht von der Redaktion abgewickelt, sondern von guten, externen Autoren. Und es wird klar gekennzeichnet. HORIZONT: Sie haben sich punkto Werbung eine Hintertür offen gehalten, Firmen können in der eigentlich werbefreien Version der Seite als Sponsor auftreten. Welche Regeln gelten für die Sponsoren? Sterbenz: Die Fläche ist klein und nicht animiert. Es findet kein unerwünschtes Tracking statt, es sind keine Werbe-Server eingebunden. Es sollen auch keine Produkte beworben werden. Es ist für Firmen, die auf diesem Weg qualitativ hochwertige Inhalte unterstützen wollen. Unserer Vorgaben sind hier bewusst strikt, denn wir wollen die Idee hinter Golem pur ja nicht ad absurdum führen. Wir wollen maximal transparent sein, so dass wir von vorn herein auf diese Möglichkeit hinweisen, auch wenn wir noch nicht absehen können, ob wir je davon Gebrauch machen werden. HORIZONT: Darf eine Firma als Sponsor auftreten, deren Geräte regelmäßig von Golem.de getestet werden - etwa Samsung oder Microsoft? Sterbenz: Jeder darf ein Sponsoring übernehmen. Wir sehen hier keinen Unterschied in der Abwicklung von klassischer Werbung. Redaktion und Werbevermarkter sind voneinander getrennt. HORIZONT: Golem pur verspricht, dass der zahlende User nicht von Werbeunternehmen getrackt wird. Zum Einloggen werden aber die drei führenden Online-Werbeunternehmen Facebook, Twitter und Google angeboten - ist das nicht ein Widerspruch in sich? Sterbenz: Das dient nur dem Login. Auf das Surfverhalten auf der Seite hat das keinen Einfluss. Wir wollten eine bequeme Option bieten. Wir kommunizieren auch die Gefahren und Risiken, die damit verbunden sind. Das Feature kommt gut an. HORIZONT: Sie waren vor Ihrer Tätigkeit als Chefredakteur von Golem.de lange Zeit beim “Kurier” und sind in der Print-Welt journalistisch groß geworden. Welchen Rat geben Sie der Zeitung, für die die Aussichten immer düsterer werden? Sterbenz: Die Abonnenten so lange gut betreuen, so lange sie noch leben – oder gewillt sind, die Preiserhöhungen mitzugehen. Das Geld in die digitale Strategie stecken, solange man es sich leisten kann. Dabei im Hinterkopf behalten, dass der österreichische Markt nicht so viele Online-Nachrichtenseiten tragen kann, da der Werbemarkt zu klein ist und die Personalkosten zu hoch sind. Entsprechend sollte man sich überlegen, welche Nische man besetzen und welches Image man aufbauen will, solange die Print-Marke noch Strahlkraft hat. Dann muss man weitere digitale Säulen abseits der News schaffen, die Einnahmen generieren und alles daran setzen, eine große Nutzerbasis aufzubauen. Es kann auch nicht schaden, ein Konzept „ohne Nachrichten“ parat zu haben. Entsprechend passt man dann die Personalstruktur an. Man sollte also nicht mehr über die Verschmelzung von Print/Online reden, sondern das auf die radikalste Weise umsetzen. Nur ein brutaler Einschnitt macht zum aktuellen Zeitpunkt Sinn. Im Zuge dessen muss den (Print)-Redakteure klar werden, dass sie nicht mehr die Informationshoheit haben. Wir sind Dienstleister, die Leser informieren, unterhalten, zufriedenstellen müssen. Zudem muss man sich klar werden, dass viele Artikel schlicht nicht gelesen werden. Das wollen ja viele nicht wahrhaben. Im Grunde geht es darum, sich an den Lesern zu orientieren, und sich nicht von der Twitteria, dem Teletext oder Silicon-Valley-Gurus leiten lassen. Ich persönlich finde das Modell von Welt.de spannend. Da wird online produziert und daraus ein Best-Off zur Zeitung gemacht. Das ist ein auf die aktuelle Lage hin optimierter, sinnvoller Workflow. Der wichtigste Tipp ist aber sicherlich: Gute Programmierer einstellen und so viel wie möglich In-House umsetzen. Nur so kann man schnell reagieren und viel über das Leseverhalten erfahren und das Portal dahingehend optimieren. Daten sind extrem wichtig, dabei sollte man sich nicht auf externe Dienstleister verlassen – auch wenn das für die Bilanz kurzfristig gut aussieht. HORIZONT: Letzte Frage: Nutzen Sie persönlich die werbefreie Golem.de-Seite, oder die mit Werbung? Sterbenz: Das ist komplexer. Das bezahlte 12-Monatsabo läuft in Chrome am Desktop und dem Windows Phone. Das werbefinanzierte Angebot in Opera und auf Android. Jenes mit NoScript im Firefox. Ich muss das ja alles stets im Auge haben.

Anmerkung im Sinne der Transparenz: Benjamin Sterbenz und Jakob Steinschaden waren lange Jahre Kollegen bei "Kurier" und futurezone.at.



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