Mobilwelt ohne Werbung?
 

Mobilwelt ohne Werbung?

Seb Braun/www.sebbraun.co.uk

Diese Woche geht's bei Walter's Weekly u.a. um eine neue Front im Kampf gegen Online-Werbung

Eine neue Front im Kampf gegen Online-Werbung

Landauf, landab finden Jubelseminare statt, die den Endsieg von Programmatic erklären: Werbeplätze im Net werden in Echtzeit versteigert und automatisch belegt. Nehmen wir an, die Auguren haben Recht. Dann wird viel grundlegende Arbeit, die Werbeagenturen heute leisten, künftig von Maschinen ausgeführt. Noch ein Nachteil: Den automatisierten Werbeschleudern ist es herzlich egal, wo die jeweilige Werbung landet – Hauptsache, die demographischen Daten stimmen. Die Qualität der belegten Medien spielt keine Rolle.

Je stärker die Tendenz zu einer Info- und Werbeflut, umso mehr werden sich werbeunterdrückende Maßnahmen etablieren. Jüngst bekam ein Arbeitsteam im Auftrag von Omnicom einen Schreck in China: Selbst dort breitet sich Werbevermeidung rapide aus. Die Internet-Provider in Asien bauen von sich aus werbeblockierende Software in Browser ein. Der populärste, mit einem Marktanteil von 50 Prozent, ist der aus dem Haus Alibaba kommende UC Browser. Der chinesische E-Commerce-Gigant (größer als Amazon und Ebay zusammen!) braucht natürlich Werbung – aber hauptsächlich eigene, und die lässt der UC Browser durch.

Warum sind die Verbraucher so scharf darauf, der Werbung zu entgehen? In Asien wird das Net nicht primär über PCs angesteuert, sondern via Smartphone. Die üblichen Verträge für monatliche Nutzung sehen strenge Datenbeschränkung vor. Zur Veranschaulichung: Im Westen, wo der Datenkonsum viel höher ist, kostet ein Handy im Durchschnitt 1-2 Prozent des Jahreseinkommens. In Asien sind die funkenden Dinger teurer; sie verschlingen circa 5 Prozent des Einkommens. Die Verbraucher werden unter solchen Umständen ihre Finger von der datenaufwändigen App-Welt lassen – damit findet auch die Werbung weniger Einfallstore.

Wem das alles als vorübergehendes Geplänkel erscheint, wer glaubt, Werbetreibende würden immer Wege finden, blockierende Software zu umgehen, der möge sich eine andere Option vor Augen halten: totale Werbevernichtung.

Das ist technisch möglich. Die junge israelische Firma Shine, mit Wurzeln im Geheimdienst, klappert zur Zeit Telecoms ab, um ihnen Folgendes zu offerieren: Liebe Mobilnetzbetreiber, rund ein Fünftel eurer Bandbreite geht für Werbung drauf – wie wär’s, wenn wir diese Plage abstellen?

Die Digicell Gruppe mit Firmensitz auf den Bermudas hat zugegriffen; ihre 14 Millionen Kunden erhalten keine Werbung mehr. Angeblich haben große europäische Telecoms Interesse an Shines Software gezeigt...

Fazit:

Die Zeit für aufdringliche und unerwünschte Werbung läuft ab. Wenn Werbung als lästig empfunden wird, ist sie wirkungslos. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Schleusenwärter für Werbung (wäre nicht der Gesetzgeber; die marktdominierenden Konzerne würden bestimmen, was durchkommt).

Oder kommerzielle Kommunikation geht zurück. Vielleicht ist das ohnehin unvermeidlich, wenn Mediaagenturen und ihre Auftraggeber sich in einem Anfall von Reue fragen: Wer klickt denn massenhaft gestreute Online-Werbung bewusst (und nicht aus Versehen) an? Dazu kommt noch verbreiteter Betrug mit Online-Werbung (nicht nur falsch abgerechnete Klicks von nicht existierenden Besuchern – es wird über Werbung auch Malware verbreitet: Siehe den jüngsten IAB-Bericht, Link unten).

Im Falle von stark reduzierter Werbung würde das Web für Endverbraucher teurer werden. Hier sollte sich ein neues Gleichgewicht zwischen werbefinanziertem Gratiskonsum und bezahlten Inhalten etablieren.

Ein Versuch ist der neue Vorstoß „Google Contributer“, wo man gegen eine geringe Monatsgebühr einen relativ werbefreien Web-Genuss erhält. Das Geld wird unter teilnehmenden Verlagen, die ihre Anzahl an Anzeigen reduziert (und an deren Stelle ein DANKE! platziert), aufgeteilt werden.

Quellen:

http://www.mondaynote.com/2015/12/06/the-ad-blocking-industry-global-large-threatening/

http://adage.com/article/digital/ad-blocking-unexpectedly-big-issue-china/301602/

http://www.ucweb.com/

https://www.getshine.com/

http://www.thedrum.com/news/2015/12/08/google-wants-lead-industrys-fight-back-against-ad-blocking-contributor-rollout

http://www.iab.com/news/digital-ad-industry-will-gain-8-2-billion-by-eliminating-fraud-and-flaws-in-internet-supply-chain-iab-ey-study-shows/

TV-Werbung eingeholt

Dank unserer Besessenheit mit Bildern hat sich das Medium Fernsehen bisher exzellent gegen das Digitalmonster behaupten können. Beispielsweise in Großbritannien wird heuer eine Rekordinvestition in den Werbeblock erwartet (plus 8 Prozent). Mit einem Anteil von 38 Prozent an den Werbeausgaben ist das Fernsehen nach wie vor Nummer 1 unter den Werbeträgern.

Doch die jahrzehntelange Vorherrschaft im Mediamix geht unaufhaltsam zu Ende. Auch wenn Fernsehen weiterhin als bevorzugte Imagebildungsplattform angesehen wird, dürfte bis 2018 der Anteil auf 34-35 Prozent vom Werbekuchen fallen. Bei Gott keine Brösel – aber das Internet wird dann die neue Nummer 1 sein.

Wiegt man allerdings die audiovisuelle Werbung insgesamt (also TV plus Online-Videos), dann steigt deren Bedeutung in den kommenden Jahren massiv an: ZenithOptimedia schätzen den kombinierten Anteil auf knapp 49 Prozent im Jahr 2018. Der größte Treiber ist den Prognosen zufolge die mobile Werbung: Deren Anteil wird sich in den kommenden Jahren schlicht verdoppeln.

Fragt sich allerdings, was dieser anschwellende Strom an kommerziellen Botschaften wirklich bewirkt. Laut einer Erhebung von Forrester Research aus dem Jahr 2013 vertrauen 70 Prozent der Konsumenten Markenempfehlungen aus dem Freundeskreis, aber nur 10 Prozent der Werbung. Kaum anzunehmen, dass sich dieser Prozentsatz seither verbessert hat.

Quelle:

http://www.telegraph.co.uk/finance/newsbysector/mediatechnologyandtelecoms/12036029/TV-ad-spend-hits-record-high-over-Christmas-period-in-the-UK.html

Update: Wearables – das erste Jahr ... und ein wilder Ausblick

Heuer war das erste Jahr, indem sich tragbare Elektronik auf die Massenmärkte gepirscht hat. Die viel besprochene Apple Watch geht nicht als Sieger hervor – am populärsten war das Armband Fitbit, ein Fitnessverfolgungsgerät.

Eine junge Technikfirma namens Chaotic Moon will uns noch viel näher auf den Leib rücken: Mit Wearables, die in Form eines Tattoos getragen werden. Es gibt bereits eine Reihe von Versuchen in diese Richtung.

Fragt sich allerdings, warum jetzt jeder scharf darauf sein sollten, seine Vitalfunktionen regelmäßig zu überprüfen: Ist der Hypochonder die neue zeitgeistige Leitfigur (Überwachung des eigenen Schlafs ist bereits populär!)?

Quellen:

http://www.telegraph.co.uk/technology/news/12033656/Fitbit-is-the-most-popular-wearable-of-2015-as-sector-grows-almost-200pc.html

http://www.wired.co.uk/news/archive/2015-12/04/biotech-tattoos-biowearable

Weitere Beiträge von Walter`s Weekly gibt es hier.

[Walter Braun]



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