Diese Woche geht's bei Walter's Weekly um die Automatisierung im Marketing und deren vielleicht vorhandenen menschlichen Grenzen.
Ein Trend lässt sich quer durch die Wirtschaft verfolgen: Wo immer es lohnend erscheint, werden Menschen durch Maschinen ersetzt. Selbst in urmenschlichen Funktionen. Im Handel starren wir zunehmend in Bildschirme statt in Menschenaugen. In der Kundenzentrale hebt prinzipiell ein Computer ab.
Kunden wie ein Stück gefrorenes Fleisch durch Antwortmenüs oder Sozialmediennetze zu schleusen, ist sicher effizient; die Frage ist allerdings, wie die Betroffenen
darauf langfristig reagieren. Zum einen wird durch den Verlust des direkten menschlichen Kontakts die Kundentreue aufs Spiel gesetzt.
Zum anderen wird durch verbreitete Mensch-Maschine-Kommunikation
zwischenmenschliche Entfremdung zur Norm. Jüngst kam zutage, dass einsame Männer mit dem
Chat-Bot Siri flirten und
erotische Gespräche suchen. Ist das nicht traurig? Eine Frau beklagte sich vor kurzem, dass ihr
Avatar digital begrapscht wurde.
Es sind Fälle von jungen Menschen bekannt geworden, die direkte zwischenmenschliche Kontakte ablehnen und nur noch Austausch via Twitter akzeptieren.
Premiumprodukt Direktkontakt?Marketing funktioniert nur, wenn Produkte und werbliche Botschaften für prospektive Kunden relevant sind. Wer im Internet immer dieselben Produkte ansieht/kauft, hinterlässt ein klares Muster. Bei einem sehr breiten Interessensfeld funktionieren weder automatisierte Kaufempfehlungen noch Daten-getriebene Werbezuteilung;
menschliche Urteile sind da erheblich besser.
Eine Möglichkeit wäre, vollautomatisierte Kommunikation auf jene Kunden zu beschränken, die es nicht stört, mit einem Blechtrottel zu reden. Was wiederum Anbietern, die kommunikativen Austausch mit Menschen offerieren, eine neue Positionierungsmöglichkeit böte.
Wie es aussieht, sind Sparzwänge aber stärker; der Trend, Angestellte durch Software zu ersetzen, dehnt sich unaufhaltsam aus. Bei einer Erhebung der Marktforschungsfirma Millward Brown Digital proklamierte
schon vor drei Jahren eine Mehrheit: Wenn ich auf eine Anfrage nicht binnen 60 Minuten eine Antwort erhalte, mahne ich diese Firma auf Sozialmedien ab.
Extreme Selbstherrlichkeit dieser Art zwingt Firmen praktisch dazu, Kundenkontakte zu automatisieren. Konversations-Software funktioniert ausgezeichnet, wenn sich die Anfrage (oder Beschwerde) innerhalb des vorgegeben Rahmens bewegt. Chat-Bots sind aber unbrauchbar, sobald sie mit etwas konfrontiert werden, das nicht im Antwortmenü vorgesehen ist – dann bewegen sie sich im Kreis bzw. kappen die Kommunikation.
Wer freut sich über automatisch generierte Glückwünsche?Echte Auseinandersetzungen erfordert erhebliche Investitionen, weshalb nun künstliche Intelligenz eingesetzt wird, die menschliche Konversationen zu imitieren versucht. Ob dies nicht langfristig unsere kommunikativen Fähigkeiten verarmen lässt? Für jene, die nicht mehr in der Lage sind, ein Gespräch zu führen, wartet Facebook Messenger mit
einer brandneuen Gesprächshilfe auf, die Vorschläge macht, worüber man reden könnte.
Es ist kein Zufall, dass Amazon große Summen in den Digitalbutler „Alexa“ investiert (der über den Lautsprecher „Echo“ ins Haus kommt). Ausgelobt wird ein ‚menschenähnlicher‘ Begleiter, dessen selbstlernende Software so gut ist, dass sie nicht nur individuelle Verhaltensmuster erkennt sondern sogar in der Lage ist,
Irritation in der Stimme zu registrieren und entsprechend darauf zu reagieren.
Was ist für den Anwender drinnen? Dass man Waren bestellt, indem man einfach einen Befehl bellt. Jeder sein eigener Burgherr.
Aufstand?Menschliche Wärme durch Roboter zu imitieren, mag einen gewissen Kundenkreis befriedigen – andere werden dagegen rebellieren. Es ist kaum zu erwarten, dass alle stumm und brav in eine Big Brother-Gesellschaft marschieren; Bestechung durch Bequemlichkeit funktioniert nur in Grenzen. Dennoch setzen Google, Apple, Microsoft und Facebook voll darauf, dass der menschliche Rudeldrang eine große Mehrheit in eine Lebensweise verlockt, in der wir uns so eng mit Maschinen verzahnen, dass wir de facto
zu Cyborgs werden…
Lesetipp zum Einfluss von künstlicher Intelligenz auf Alltagsleben und Marketing: Donal Daly: TOMORROW | TODAY: How AI Impacts How We Work, Live and Think (and It's Not What You Expect)
[Walter Braun]