Die Metropole an der Themse gilt als gutes Pflaster für junge Tech-Firmen. Doch der Zuzug junger Talente, stetig wachsende Mietpreise und große Firmen haben den Standort extrem kompetitiv gemacht, wie eine HORIZONT-Reportage zeigt
Die Old Street als Tor in die digitale Zukunft: Wer Londons Tech-Szene besuchen will, der steigt drei Stationen nördlich der London Bridge aus der „Tube“, drängt sich mit Hunderten anderen „Busy People“ aus den Gewölben der Underground ans Tageslicht und steht ganz plötzlich mittendrin im Geschehen. Egal, ob man nun Silicon Roundabout, Digital Shoreditch oder East London Tech City dazu sagt: Rund um den Kreisverkehr an der Old Street sowie im umgebenden Viertel ist Londons Start-up-Szene zu Hause – und damit die Oberliga Europas.
So große Namen wie Kalifornien hat die Gegend zwar nicht parat, aber jeder, der sich zumindest oberflächlich für die Techbranche interessiert, hat schon einmal von der Musikerkennungs-App
Shazam, der Dating-App
Badoo, dem Musikdienst
Last.fm oder den Online-Spieleanbietern
Mind Candy („Moshi Monsters“) und
King.com („Candy Crush“) gehört. Zudem machen aufstrebende Start-ups wie der Auslandsüberweisungsservice
TransferWise (gerade mit 25 Mio. Dollar Investment von Peter Thiel und Sir Richard Branson bedacht) oder
SwiftKey, eine schlaue Schnellschreibertastatur für Smartphones, immer öfter von sich reden. Das zusammen genommen hat dann wiederum IT-Riesen wie Google oder Facebook angelockt, ihre Offices in der hippen Gegend einzurichten. Höchste Zeit also für einen HORIZONT-Besuch im Londoner Start-up-Mekka.
Einer, der sich nur zwei Gehminuten vom Silicon Roundabout mit seinem Start-up angesiedelt hat, ist der Österreicher Bernhard Niesner. Er hat
Busuu, eine App beziehungsweise einen Webdienst für Online-Sprachenlernen, vor etwa zwei Jahren von Madrid in die britische Hauptstadt übersiedelt. Bereits mehr als 40 Mitarbeiter tüfteln in dem Großraumbüro an immer neuen Funktionen der Smartphone-App, die bereits mehr als 45 Millionen Mal geladen wurde. Positiv wirtschaftet Busuu noch nicht, aber das sorgt Niesner derzeit nicht wirklich. Er ist gerade dabei, eine neue Finanzierungsrunde aufzustellen und sieht sich dafür in London bestens positioniert. In der Stadt sind nicht nur die großen Risikokapitalgeber vertreten – sei es
Accel Partners,
Index Ventures oder
Balderton Capital –, auch die meisten großen Brands haben hier ihre Europazentralen und sind damit für Meetings einfach zu erreichen.
Auch sonst ist der Busuu-Gründer und CEO mit der Standortwahl sehr zufrieden. „Es war wahnsinnig schwierig, gute Mitarbeiter in Madrid zu finden. Berlin ist sicher auch gut, aber London ist dann noch einmal eine ganze andere Nummer“, sagt Niesner. Die Stadt im Allgemeinen und die Start-up-Szene im Besonderen profitiere enorm vom Zuzug talentierter Leute aus ganz Europa, die sich gern im Hipster-Stadtteil Shoreditch mit seinen vielen trendigen Restaurants und Bars ansiedeln. Und so entwickelt seine Smartphone-App ein Team junger Spanier, die er in Madrid niemals getroffen hat.
Stadt als Magnet für Start-upsDass London nach wie vor als Start-up-Hauptstadt Europas angesehen wird, ist auch der Politik zu verdanken. „Die Stadtverwaltung macht extrem gutes Marketing für die Tech City“, sagt Niesner. „Es gibt sogar eine eigene Agentur, die Start-ups nach London holt und Büros für sie sucht.“ Außerdem gebe es kaum bürokratische Hürden, wenn es etwa um die Verlegung des Firmensitzes nach London geht – lediglich eine halbe Stunde Arbeit sei das für Busuu gewesen. Zudem gibt es sehr attraktive steuerliche Rahmenbedingungen für Business Angels, was zur Folge hat, dass die Geldbörsen der Geschäftsleute sehr locker sitzen. Die Stadt kann die weltweit größte Zahl an Milliardären (nämlich 72) vorweisen, wie die Sunday Times kürzlich vorrechnete.
Harter Kampf um Talente„Egal, wen du treffen willst, du wirst ihn wahrscheinlich hier treffen“, schwärmt auch Kam Star, CEO der auf Gamification spezialisierten Digital-Agentur PlayGen, von Londons Standortvorteilen. „Es gibt endlos viele Veranstaltungen, es gibt Kapital, Talente, Ideen, und sogar die Stadtregierung hilft dir. Wenn du in Europa eine Tech-Firma hochziehen willst, dann tust du es am besten hier.“ PlayGen gehört zu Londons Start-up-Urgesteinen und hat versucht, mit Onlineprojekten wie „Shoreditch Source“ oder „Tech City Map“ die Szene besser zu vernetzen. „Es ist ein Wahnsinn, wie viele Jobs es in der Szene gibt“, sagt Star. „Allein auf der Silicon Milkabout, einer Jobmesse nur für Start-ups, waren mehr als 150 Jungfirmen, die neue Leute suchen. Aber weil jeder Mitarbeiter sucht, ist es sehr schwer geworden, gute Leute zu finden, die nicht schon woanders arbeiten."
Einige der begehrtesten Talente arbeiten beim Financial-Tech-Start-up TransferWise, das derzeit besonders beliebt ist und Auslandsüberweisungen deutlich günstiger anbietet als herkömmliche Banken. „Es ist sehr cool, bei einer kleinen Firma zu arbeiten, die ein kaputtes System, in unserem Fall jenes der Banken, reparieren will“, sagt Donata Huggins, die bei TransferWise für die Kommunikation zuständig ist. Das sei spannender, als eine klassische Karriere bei einer großen Firma zu starten. Angst vorm Scheitern habe man keine: „Wir haben eine ganz klare Strategie.“
Wolken über der Tech CityDoch ohne Sorgenfalten lässt es sich in der Londoner Tech City auch nicht leben. Der Boom der Start-up-Szene hat sehr hohe Mietpreise zur Folge, zusätzlich drängen große Firmen in den Stadtteil. Der bekannte Science-Fiction-Autor und Tech-Experte Cory Doctorow hat deswegen vor Kurzem in einem Guardian-Artikel den „langsamen Tod des Silicon Roundabout“ prophezeit, weil die hohen Lebenserhaltungskosten und großen Unternehmen die kreativen Jungfirmen verjagen würden. Auch Busuu-Gründer Niesner ist mit diesen Problemen konfrontiert. „Die Lebenserhaltungskosten sind in London mehr als doppelt so hoch wie in Wien. Und der Wettbewerb ist sehr groß: Meine Leute bekommen ständig Anrufe von anderen Start-ups, die versuchen, sie abzuwerben“, sagt er. Das würde seine eigenen Kosten ordentlich treiben: „Gratisfrühstück, Firmenanteile, private Krankenversicherung, man muss den Leuten echt etwas bieten. London, das ist die Champions League für Start-ups.“
Neben Busuu gibt es noch andere österreichische Start-ups, die dem Ruf Londons gefolgt sind. Vor einigen Jahren versuchten Andreas Klinger und Tamas Locher mit dem Mode-Start-up
Lookk ihr Glück in der Metropole an der Themse, mussten dann aber nach einem kurzen Höhenflug Anfang 2013 schließen. Für das auf mobile Werbung spezialisierte Start-up
MobFox des jungen Wiener Gründers Julian Zehetmayr ist London, wo er ein Büro betreibt, zum wichtigsten Standbein geworden. „Vor allem aus London heraus boomt das Geschäft“, sagt Zehetmayr.
Qriously wiederum, ein Wiener Start-up für mobile Marktforschung, hat sich neben dem Office in der britischen Hauptstadt noch ein zweites in New York eingerichtet, um den nordamerikanischen Markt besser bearbeiten zu können.
"...oder die Stadt spuckt dich wieder aus"Denn ja, auch in London kann man durchaus an Grenzen stoßen, sagt PlayGen-Chef Star: „Lass uns ehrlich sein: Denk` nicht zu groß, wir sind hier immer noch in Europa und nicht im Silicon Valley.“ Wer das Luxusproblem hat, für London zu groß zu werden, der hat jedenfalls einiges hinter sich. Fehler verzeiht die Stadt kaum jemandem, meint Busuu-Chef Niesner: „Die Stadt ist sehr kompetitiv. Entweder du hast Erfolg, oder sie spuckt dich wieder aus. London ist zu teuer, um einfach nur herumzuhängen.“