Das Cookie-Urteil hält die Branche in Bann. HORIZONT analysiert mit hochrangigen Experten die konkreten Auswirkungen: Die befürchtete Digital-Apokalypse ist zwar abgesagt, neue Strategien und Ansätze sind aber umso mehr gefragt.
Diese Cover-Story ist zuerst in Ausgabe Nr. 31/2019 des HORIZONT erschienen. Noch kein Abo? Hier klicken!
Das aktuelle Cookie-Urteil des EuGH sorgt in der Branche für heftige Diskussionen: Düstere Szenarien werden skizziert, sogar vom Ende des bisherigen Online-Marketings wird gesprochen (Infos zum Urteil siehe unten). Die österreichische Marketinggesellschaft sieht die "derzeit größte Herausforderung für Werbetreibende, Online-Vermarkter und Agenturen im Digitalbusiness". Doch wie wirkt sich das Urteil auf die Branche konkret aus? Andreas Vretscha, CEO GroupM Austria, begrüßt zwar "jegliche Judikatur im Bereich Datenschutz, die für mehr Klarheit und Rechtssicherheit sorgt. Das aktuelle EuGH-Urteil birgt für den Cookie-Bereich jedoch das Potenzial, die derzeitige Situation für Werbetreibende massiv zu erschweren." Andere Teilbereiche, wie die Kategorisierung von personenbezogenen Daten im digitalen Marketing, könnten auf Basis des Urteils jedoch auch neu diskutiert werden, habe doch "die bisherige, nicht judizierte Situation je nach Marktteilnehmer unterschiedlich strenge Auslegungen hervorgerufen. GroupM ist sicherlich einer jener wenigen Player am Markt, die von Beginn an äußerst strenge Standards angewendet haben". Eine genauere Definition der Spielregeln, zu der das EuGH-Urteil beitrage, komme der GroupM daher sehr entgegen.
Einwilligungsfrage weiter offen Für Josef Almer, Managing Director des Vermarkters Goldbach Austria, lässt das Urteil die eigentliche Frage, "ob eine Einwilligung überhaupt erforderlich ist, weiterhin offen". Das hatte auch der deutsche Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) bemängelt und zudem die Klarstellung eingefordert, wann Unternehmen die Nutzung eines Dienstes überhaupt von der Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten abhängig machen dürfen. Das ist nach Almers Dafürhalten nicht so "harmlos", wie es sich anhört: "Der Grund ist einfach: Ist ein voreingestelltes Kreuzchen oder Häkchen vorhanden, entfernen es bestenfalls zehn bis 20 Prozent der Website-Nutzer. Ist es hingegen notwendig, ein Kreuzchen oder Häkchen aktiv anzubringen, tun das ebenfalls zehn bis 20 Prozent der Nutzer -ein gewaltiger Unterschied."
Da mit Datenschutz-Aspekten in der werblichen Ansprache sorgfältig umgegangen werde, sind die sich aus dem Urteil abzeichnenden Änderungen und Erweiterungen aus Almers Sicht grundsätzlich umsetzbar, legten die Messlatte aber deutlich höher als bisher. Zudem stärke das Urteil "die großen Player, die sich vom User über ein einziges Login die Zustimmung zu mehreren Plattformen und Verwendungszwecken 'abholen'. Es schwächt tendenziell kleinere Anbieter, die diese Möglichkeit nicht haben."
'Schießt weit über das Ziel hinaus'
Daniel Pfeffer, Digital Director Havas Media, bekennt sich zwar zu Datenschutz, kritisiert aber, dass das Urteil "weit über das Ziel hinausschießt. Eine Zustimmung zu jeglichen Cookies, nämlich auch First-Party-Cookies, einzufordern, ist nicht nur für Website-Inhaber und Werber kritisch zu sehen, sondern insbesondere für den Konsumenten."
Auch das iab austria sieht das Urteil mit gemischten Gefühlen. Es sorge für "viel Wirbel, aber letztendlich doch wieder nicht für vollkommene Klarheit. Zwar wurde bestätigt, dass bei einem Einsatz von Cookies eine aktive Zustimmung erforderlich ist, aber leider wurde nicht formuliert, wann dies zu erfolgen hat", sagt iabaustria-Vizepräsidentin Alexandra Vetrovsky-Brychta gegenüber HORI-ZONT, und unterstreicht: "Entgegen der DSGVO wird festgehalten, dass es keinen Unterschied macht, ob es sich dabei um personenbezogene oder nicht personenbezogene Daten handelt. Was das Urteil zur Folge hat, ist somit noch mehr Verwirrung mangels Kongruenz mit der DSGVO. Und dieser Mangel ist auch unser Hauptkritikpunkt bei der E-Privacy-Verordnung. Das Urteil zeigt einmal mehr, dass die Kritik des iab austria mehr als berechtigt ist." Überrascht von der allgemeinen Aufregung ist Siegfried Stepke, Geschäftsführer der Digital-Agentur e-dialog. "Mit dem Urteil ändert sich ja nichts, es stellt nur klar, was vorher schon galt. Allerdings wird nun unmissverständlich deutlich, dass die großteils installierten flapsigen Cookie-Banner schlicht nicht den Anforderungen genügen - und das nie getan haben. Hier besteht dringender Handlungsbedarf."
Damoklesschwert über Targeting Für die österreichische Marketinggesellschaft steht indes fest, dass "Einschnitte für Personalisierung und Werbetargeting -abseits der großen US-Plattformen -zu erwarten sind. All das wird dafür sorgen, dass Nutzer weniger relevante Inhalte sehen und Unternehmen weniger Umsatz machen". Pfeffer erwartet angesichts des Urteils einen merkbaren Rückgang an Website-Daten im Analysesystem und gleichzeitig kleinere Retargeting- Cookie-Pools. "Für User werden durch dieses Urteil Funktionen nur mehr als Opt-in angeboten, welche heutzutage als Basics angesehen werden, wie beispielsweise, dass ein Warenkorb Produkte behält und man nicht nach dem nächsten Restart die Einkaufsliste von Neuem befüllen muss."
Gelassener sieht das Vretscha: "Im Neuen sehen wir nie Gefahren, sondern immer Chancen. Auch bevor die DSGVO in Geltung getreten ist, sind ähnliche Stimmen laut geworden, die dem digitalen Marketing den Untergang prophezeit haben. Und es wächst immer noch." Das Urteil werde für all jene einen vergleichsweise großen Impact haben, die bis dato zu leger mit Cookies umgegangen sind. Tatsächlich werde nichts kategorisch verboten, sondern würden nur die Spielregeln möglicherweise nachgeschärft. "Ich verspreche mir davon einen faireren Wettbewerb im digitalen Kommunikationsbusiness. Zudem möchte ich hier klar sagen, dass wir uns sehr wohl der Verantwortung bewusst sind, dass es für ein so mächtiges Instrument, wie sie Daten im Kommunikations-Ökosystem nun einmal darstellen, Regulierung im Sinne der Userinnen geben muss. Online-Marketing ist somit nicht tot, es wird nur noch spannender -und wir sind gefordert, innovative und kreative Wege zu finden."
,Einzig der Aufwand steigt'
Auch Almer sieht "definitiv Auswirkungen auf unser Geschäftsmodell, 'tot' ist das Modell aber noch lange nicht, einzig der Aufwand, werbetreibenden Unternehmen zielgerichtete Werbemöglichkeiten zu bieten, steigt". Alle von Goldbach vermarkteten Publisher hätten sich mit Inkrafttreten der DSGVO im Mai 2018 verpflichtet, die Einstimmung ihrer User zur Verwendung von Cookies für personenbezogene Daten einzuholen und demnach User-basierte Werbung auch nur unter Zustimmung auszuspielen. "Die aus dem Urteil hervorgegangene Erweiterung in Richtung genereller Zustimmungspflicht unabhängig von der Art der Daten muss demnach von unserer Seite vertraglich ergänzt werden. Insgesamt steigt der Aufwand jedoch in erster Linie für die Websitebetreiber selbst, die umfängliche Einwilligung einzuholen, was wiederum auch die Hürden auf User-Seite vergrößert."
Das iab arbeitet laut eigenen Angaben diesbezüglich bereits europaweit an einer klar DSGVO-konformen Lösung, die die noch ausstehende E-Privacy-Verordnung gleich mit abdecken soll. So soll im Zusammenwirken mit den Publishern "eine branchenweite Standardisierung" erreicht werden.
Absage an 'digitale Apokalypse'
Pfeffer will ebenso keine Untergangsstimmung aufgrund des EuGH-Urteils aufkommen lassen. " Clickbaiting Headlines sollten wie immer mit Vorsicht genossen werden, denn die digitale Apokalypse wird es durch das Urteil bestimmt nicht geben. Überdenken von Strategien ist aber definitiv notwendig." Der langsame Abgesang der Cookies sei aber nun schon eine Weile zu beobachten, so Pfeffer, wenn man bedenke, dass Apple bereits mit seiner ITP (Intelligent Tracking Prevention) per Default Third-Party-Cookies im Safari-Browser blockt und First-Party-Cookies nur mehr sieben Tage gespeichert werden, Mozilla Firefox vor Kurzem mit einem Update Selbiges umgesetzt hat und auch Google mit Chrome schon in diese Richtung denkt.
"Ob die Zukunft nun Personenmarketing mit klaren User-IDs ist, also auf User orientiert und nicht auf Geräte, die auf das Webangebot zugreifen, also so wie dies im Google-Universum oder auf Facebook üblich ist", ist für Pfeffer offen. Auch eine Renaissance der von Digital Marketern stiefmütterlich behandelten Umfeld-Buchungen sieht er als realistisch an. "Da der Cookie selbst schon knapp 25 Jahre auf dem Buckel hat - ein Alter, mit dem man für gewöhnlich im digitalen Zeitalter als Dinosaurier gilt -, ist es hier vielleicht sowieso an der Zeit, auf neue Lösungen zu pochen. Auch in der Post-Cookie-Ära wird digitales Marketing weiter wachsen und sich weiterentwickeln, denn diese 'Probleme' würden sich andere Mediengattungen wünschen. Digital bleibt der am besten messund optimierbare Medienkanal, trotz teilweise geleerter Keksdosen."
, Panikmache' Entspannt ist auch Stepke, wenn er an die Online-Marke-tingzukunft denkt. "Nur Menschen, die sich bisher keine Gedanken zum Thema Datenschutz gemacht oder diesen schlicht ignoriert haben, sehen jetzt das Ende von Online Marketing." Das Ende von datengetriebenem Marketing werde nur "aus Kreisen mit hohen Eigeninteressen propagiert. Dieser haltlosen Panikmache sollte nicht Folge geleistet werden, sondern professionell und sauber gearbeitet werden. Daten werden für den Wettbewerbsvorteil noch wichtiger als sie heute schon sind."
Zum Thema Consent Management Platforms (CMP) hat e-dialog kürzlich ein Whitepaper mit allen Grundlagen und einer Übersicht der wichtigsten Tools zusammengestellt. "Es gibt saubere Lösungen, und nun sind die gleichen Bedingungen für alle Werbetreibenden nochmals festgehalten worden. Das ist gut so, denn sonst wäre hier ein unfairer Wettbewerbsvorteil", so Stepke. Opt-in-Raten könnten optimiert werden, Technik und Prozesse für Consent Management seien schließlich "jahrelang erprobt".
Hintergrund: DAS 'COOKIE-URTEIL'
Bei der Zustimmung zum Datensammeln per Cookies dürfen Internetnutzern keine bereits ausgefüllten Einwilligungen aufgetischt werden. Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass dem Setzen von Cookies aktiv zugestimmt werden muss. Eine voreingestellte Zustimmung zum Speichern der Daten auf dem Rechner sei unzulässig, urteilten die Luxemburger Richter vergangene Woche am Dienstag (Rechtssache C-673/17). Anlassfall der EuGH-Entscheidung war ein Online-Gewinnspiel des Anbieters Planet49 aus Deutschland im Jahr 2013. Auf der Anmeldeseite des Gewinnspiels gab es ein Kästchen, bei dem bereits ein Häkchen gesetzt war. Die Zustimmung für das Setzen von Cookies lag damit automatisch vor. Das Häkchen konnte jedoch auch entfernt werden. Die Luxemburger Richter betonten nun, dass die Einwilligung in das Setzen von Cookies durch das Vorgehen bei dem Planet49-Gewinnspiel nicht wirksam erteilt werde. Es mache auch keinen Unterschied, ob es sich bei den gespeicherten und abgerufenen Informationen um personenbezogene Daten handle oder nicht. Zugleich stellten die Richter klar, dass Nutzer die Einwilligung in das Setzen von Cookies in jedem Einzelfall erteilen müssen.